Christa Pöppelmann > November 1918 > Mittwoch, der 7. Mai 1919
Mittwoch, der 7. Mai 1919
Erich Mühsam notiert im Zuchthaus Ebrach: „Man blick im Geiste um sich: lauter Tote, lauter Ermordete – es ist grauenhaft …. Mit den Münchner Schandtaten hat Noske sogar seine Berliner Blutorgien übertroffen. Das ist die Revolution, der ich entgegengejauchzt habe. Nach einem halben Jahr ein Bluttümpel: mir graut.“
Auch der deutschen Delegation in Versailles graut, aber aus ganz anderen Gründen: Nachdem sie bisher kein einziges Mal auch nur angehört worden sind, werden ihr nun die von der Siegermächte-Konferenz ausgehandelten Friedensbedingungen überreicht. Und die orientieren sich keineswegs an Wilsons 14 Punkten, wie die Deutschen bislang immer noch irgendwie hofften, sondern stellen gnadenlose Forderungen: Deutschland verliert nicht nur seine Kolonien und Elsass-Lothringen, sondern auch das Memelland, Danzig und große Teile Posens und Westpreußens. In Eupen und Malmedy, Nordschleswig, Teilen Ost- und Westpreußens und im Saarland sollen Volksabstimmungen stattfinden. In letzterem aber erst nach 15jähriger französischer Besatzung. Auch die linksrheinischen Gebiete sowie Köln, Koblenz, Mainz und Kehl bleiben als Pfand für die Erfüllung des Vertrages besetzt. Im Endeffekt bedeutet das einen Verlust von 13 Prozent der Fläche, aber rund der Hälfte aller Erzbergwerke, über 60 Prozent der Zinkgruben und 40 Prozent der Hochöfen.
Außerdem muss Deutschland 90 Prozent seiner Handelsflotte und ein Viertel der Fischfangflotte abgeben. Deutsche Auslandsvermögen werden enteignet, Patente und Urheberrechte annulliert.
Die Friedensverträge mit der Sowjetunion, der Ukraine und Rumänien werden aufgehoben. Die Reichswehr wird auf die wenig schlagkräftige Stärke von 100.000 Soldaten begrenzt und darf weder Panzer, noch schwere Geschütze oder U-Boote besitzen. Eine Luftwaffe ist gänzlich untersagt. Alle Befestigungsanlagen an den Grenzen sind zu schleifen, im Rheinland darf sich keinerlei deutsches Militär befinden und die Oberste Heeresleitung muss abgeschafft werden. Stattdessen übernimmt ein Interalliierter Kontrollrat die Aufsicht über alle militärischen Angelegenheiten. Kaiser Wilhelm II. soll vor einen Internationalen Gerichtshof gestellt werden, später zu benennende Staatsmänner und Militärangehörige ausgeliefert werden, damit sie sich vor Militärgerichten der Siegerstaaten wegen ihrer Kriegsverbrechen verantworten. Vor allem aber soll Deutschland, weil es nach Artikel 231 des Vertrages zusammen mit seinen Verbündeten als Urheber des Krieges verantwortlich gemacht wird, für alle Kriegsschäden, soweit sie die Zivilbevölkerung betreffen, Schadenersatz leisten, einen Teil davon in Naturalien, u. a. knapp 40 Millionen Tonnen Kohle jährlich. Wie hoch diese Reparationen ausfallen sollen, ist noch ungewiss, da die Schäden noch nicht endgültig befasst sind, doch es ist klar, dass sie immens sein werden. Schließlich gleichen weite Teile Belgiens und Nordfrankreichs einer Mondlandschaft, in der nahezu jede Lebensgrundlage für die Bevölkerung zerstört worden ist. Als erste Rate soll Deutschland sofort 20 Milliarden Goldmark zahlen.
Eine Verhandlung über die Bedingungen ist nicht vorgesehen. Man gestattet den Besiegten lediglich, innerhalb von 14 Tagens schriftlich Stellung zu beziehen. Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau überreicht die Dokumente mit schöner Ehrlichkeit den Worten: „Die Stunde der Abrechnung ist da.“ Der deutsche Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau lässt sich daraufhin zu einer Entgegnung in bester schneidiger Herrenmanier hinreißen und weist alle deutsche Kriegsschuld entschieden zurück, was die Gegenseite in der Überzeugung bestärkt, dass die Deutschen immer noch die säbelrasselnden, preußischen Militaristen sind und alle Härte gegen sie vollkommen gerechtfertigt und im Grunde nur Notwehr.