Dienstag, der 14. Januar 1919

Immer noch durchkämen Regierungstruppen Berlin und es kommt immer wieder zu Schießereien. Mit Zustimmung von Gustav Noske wird die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik militärisch besetzt. Die Arbeiter reagieren mit Streik und stellen paritätische Waffen auf, damit keine der beiden Gruppen Waffen für sich abzweigen kann. In der Stadt stehen überall Posten, schwer bewaffnet mit Sturmhelm und schwerer Rüstung, mit Soldaten besetzte Wägen patrouillieren auf den Straßen, an zentralen Plätzen ist schwere Artillerie in Stellung gebracht. Das Telefonnetz ist immer noch gesperrt und in der Straßenbahn werden Fahrgäste durchsucht, wobei es immer wieder zu einer Belästigung von Frauen kommt. Die Bürger, auch die Angehörigen von Bürgerwehren, werden aufgefordert, ihre Waffen abzuliefern.

 

Im Prinzip aber ist der sogenannte Spartakus-Aufstand, der von der eigentlichen Spartakus-Führung weder begonnen, noch geleitetet wurde, vorüber. Ein Untersuchungsausschuss des Reichstages zählt später 169 Todesopfer, 156 Aufständische und 13 Kämpfer der Freikorps. Doch es gab auch unbeteiligte zivile Opfer, die durch Querschläger getötet wurden, teilweise sogar in ihrer eigenen Wohnung. Sie wurden jedoch nicht gesondert erfasst.

„Berlin erwacht aus einem hitzigen Fieber zur Wirklichkeit, die traurig ist“; notiert Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch. „Nur die Zeitungen beider Richtungen … bleiben gleich widerwärtig; die Einen ebenso blutrünstig und verlogen wie die anderen.“

Die Regierung und alle ihre Anhänger äußern sich tief befriedigt, dass der „Spartakus-Terror“ endlich besiegt ist. Für die Linken sind der Einsatz der Truppen und die Lynchmorde der Beweis, dass man schon immer recht hatte. Dass man dazu beigetragen hat, die SPD-Regierung in Sachen Gewalt zu radikalisieren, will niemand sehen. Genauso wenig wie sich die Regierung fragt, ob markige Worte und ein paar Besetzungen wirklich den Einsatz der Mittel rechtfertigt, zu denen man gegriffen hat.

Die beiden linken Lager stehen sich in der Folge unversöhnlich gegenüber. Nutznießer ist am Ende die extreme Rechte, weil keine der beiden Parteien zwischen dem Handeln der Regierung und den Lynchmorden der Freikorps unterscheidet. Die Regierung macht sich selber mit den Gewalttaten der von ihr eingesetzten Truppen gemein und übernimmt die Verantwortung für etwas, was sie selber nicht getan und mit Sicherheit so nicht gewollt hat. Die extreme Linke wertet den „Verrat“ an den einst gemeinsamen Idealen (die so gemeinsam nie waren) schwerer als alles, was von Rechtsaußen kommt, und verweigert sich konsequent jeder künftigen Zusammenarbeit. „Der einzige Erfolg der Erhebung ist, dass die sozialistische Regierung gezwungen ist, sich nach rechts anzulehnen“, notiert Harry Graf Kessler bereits damals. Und Theodor Wolff schreibt: „Dennoch kann man nicht sagen, dass die Revolte niemandem genützt habe, denn in der Schreckensatmosphäre haben die schlimmsten Reaktionäre, die Urheber der deutschen Katastrophe, dem bestürzten Publikum ihren Schützerarm aufzudrängen versucht. Man hat gesehen, wie in diesen Tagen die Jauche der antisemitisch-deutschnationalen Propaganda durch die Straßen floss.“

Auch Berlins oberster Soldatenrat Brutus Molkenbuhr ist jedoch alarmiert. Er hat die Tage größtenteils in der Stadtkommandantur miterlebt. Am 15. Januar erstattet er dem Berliner Vollzugsrat Bericht. Er sagt, man habe die Situation einigermaßen im Griff gehabt, bevor die auswärtigen Truppen einzogen. „Jetzt sind Kräfte am Werk, die geeignet sind, die Erfolge der Revolution illusorisch zu machen. Wir haben keine Gewalt mehr über die fremden Truppen. …In den Offizieren jener Truppen offenbart sich ein Geist, den wir schärfer bekämpfen müssen als die Spartakisten. Die Rufe des Obersten Reinhard nach Sammlung von Offizieren, Studenten und Bürgern ist eine Schamlosigkeit.“ Molkenbuhr fordert ein Volksheer, in dem die Arbeiterschaft stark vertreten ist. „Jetzt gilt es für alle Sozialisten, an einem Strange zu ziehen und sich auf einen gemeinsamen Boden zu stellen.  .. Über die Regelung der militärischen Verhältnisse in Berlin lassen wir uns nicht dreinreden. Wir Berliner stellen unsere Waffen der Regierung zur Verfügung, lassen uns aber nicht waffenlos jenen fremden Truppen ausliefern.“ Die Räte beschließen, eine Delegation zu Noske zu schicken und darauf zu drängen, dass die Oberbefehlshaber der fremden Truppen sich für ihr Vorgehen rechtfertigen müssen.

 

Mitten in den Wirren nimmt die Regierung aber auch die Diskussion um den ersten Entwurf zu einer neuen Verfassung auf. In 68 Artikel haben Hugo Preuß und seine Mitarbeiter die Grundzüge des künftigen Staates skizziert. Deutschland soll eine parlamentarisch Republik werden, mit einem gewählten Reichspräsident als Staatsoberhaupt. Max Weber hat darauf gedrungen, ihn mit umfangreichen Kompetenzen auszustatten, um ein „unverzichtbares“ Gegengewicht zum Parlament zu schaffent. Die Regierung billigt den Entwurf jedoch weitgehend. Nur die Neugliederung Deutschlands in 16 annähernd gleich große Bundesländer gefällt ihr nicht. Außerdem möchte Ebert dringend Grundrechte in die Verfassung aufgenommen haben, was Preuß bewusst vermieden hat, da die Debatte um die Grundrechte 1848/49 in der Paulskirche so ausgeufert ist, dass die Bereitschaft der Fürsten eine Demokratisierung Deutschlands zu akzeptieren, unterdessen geschwunden ist.

 

Angesichts der ständigen Unterbrechung des Rätekongresses im Dezember durch Delegationen, die ihr politisches Programm durchdrücken wollten, wird schon seit längerem diskutiert, die Nationalversammlung, die endgültige Verfassung erarbeiten und billigen muss, lieber nicht in Berlin tagen zu lassen. Der Spartakusaufstand hat die Debatte über einen Ausweichort intensiviert. Jena und Bayreuth werden vorgeschlagen, bieten jedoch nicht ausreichend Unterkunftsmöglichkeiten für alle Teilnehmer, Nürnberg wäre im Ernstfall militärisch schlecht zu sichern. Weimar scheint eine Alternative. Die süddeutschen Regierungen sind auch ohne die Wirren gegen Berlin, um zu zeigen, dass keine neue preußische Diktatur drohe. Verfassungsvater Hugo Preuß dagegen plädiert wegen des Signalcharakters trotz allem in der Hauptstadt zu bleiben. „Die Macht muss beim Reiche sein“, argumentiert er, „und das wird am stärksten dokumentiert, wenn die deutsche Nationalversammlung in Berlin sitzt, Berlin beherrscht und die Hauptstadt Preußens blockiert.“ Philipp Scheidemann dagegen ist für Weimar, ebenfalls wegen des Signalcharakters.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.