Dienstag, der 17. Dezember 1918

Das Preußische Abgeordnetenhaus erlebt einen heißen Tanz. Heute bekommt auch Ebert sein Fett weg. Georg Ledebour, Journalist aus Hannover, Gründungsmitglieder der USPD und einer der Revolutionären Obleute, der einen Sitz in der provisorischen Regierung ausgeschlagen hatte, weil er nicht mit Ebert und den SPD-Leuten zusammenarbeiten wollte, nennt Ebert ein „Schandmal für die Revolution“ und erklärt angesichts der Verwerfungen der letzten zwei Wochen, jemand, der „die Leute indirekt zu weiteren Putschen ermutigt hat, gehört nicht an seinen Platz.“

 

Emil Barth legt nach. Er erklärt, heute sei der Tag, an dem sich entscheide, ob er in der Regierung bleiben könne oder nicht. Während er seit Wochen dringend für eine Verständigung mit Moskau und Warschau werbe, würden seine Regierungskollegen – vor allem sein Intimfeind Otto Landsberg – „aus Gründen der nationalen Ehre“ für die Aufrechterhaltung des Grenzschutzes eintreten. Rationale Gründe für einen Grenzschutz kann Barth nicht erkennen. Im Osten sei man trotz Grenzschutz wehrlos, wenn der Kriegsgegner bestimme, dass dieses oder jenes Gebiet zu Polen gehören solle, aber „nur durch eine Verständigung mit den Polen sichern wir uns Nahrung, Kohle und Metalle.“ Einen Grenzschutz im Westen hält er für noch gefährlicheres Hasardspiel. „Am Sonnabend kommt ein Telegramm der Obersten Heeresleitung, in dem sie ersucht, dass zehn Kilometer hinter der Neutralen Zone ein Grenzschutz bestehen bleibt …. Ich  war einfach sprachlos. Noch sprachloser wurde ich, als in der Kabinettsitzung Ebert und Landsberg erklärten, dass wir unsere Grenze nicht schutzlos lassen könnten. Wer vom Grenzschutz im Westen spricht, begeht ein Verbrechen am deutschen Volk, denn dieser Grenzschutz ist eine Provokation für die Entente, er bringt den ganzen Frieden in Gefahr. … Ich bin der letzte, der bei allem Mißtrauen gleich in großes Tamtam macht. Aber es steht fest, das hier in Berlin die rücksichtloseste Militärautokratie am Werke ist, sich zu stabiliseren.“ Um dem ein Ende zu machen fordert er, dass die Offiziere künftig von den Soldaten selber gewählt werden.

 

Ebert protestiert leidenschaftlich. Im Osten habe man die Heimkehr der Soldaten sichern müssen und außerdem habe es plündernde Banden gegeben, auch wenn viele Berichte übertrieben gewesen seien. „Sollen wir unser Land widerstandslos jedem Eindringling preisgeben?“ Über den Antrag der OHL auf einen Grenzschutz im Westen aber sei noch nicht entschieden. „Ist es angesichts dieser Sachlage gerechtfertigt, wenn ein Mitglied der Regierung, das wissen muss, mit welch ungeheuren Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben, hier in dieser Weise auftritt?“ fragt er die Versammlung. Das Protokoll notiert daraufhin: „Stürmischer Beifall b. d. Mehrheit, Zischen, Lachen und Unruhe bei der Minderheit.“

 

Während es drinnen hoch her geht, demonstriert draußen erneut der Spartakus-Bund und Liebknecht hält mehrere Reden. Gegen 18 Uhr dringen dann plötzlich ungefähr 30 Soldaten in den Sitzungssaal und nehmen auf der Vorstandsempore Aufstellung. Auf Tafeln tragen sie die Namen von 17 Regimentern, darunter auch der Gardetruppen und der Republikanischen Soldatenwehr. Ihr Sprecher – Liebknechts Vertrauter Heinrich Dorrenbach – entnimmt einer Mappe ein Schriftstück und verliest im Namen dieser 17 Truppenteile eine Liste von Forderungen. Es geht um die Beibehaltung des Rätesystems im Militär. Die Soldaten sollen künftig ihre Anführer selber wählen und von Soldatenräten geführt werden. Ebenso soll alle militärische Kommandogewalt künftig vom neu gewählten Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte kontrolliert werden und das Tragen von Waffen und Abzeichen außerhalb des Dienstes verboten werden. Diese Beschlüsse stehen im klaren Kontrast, zu dem was Ebert Groener versprochen hat. Überdies wird gegen die Auflösung der Volksmarinedivision protestiert. Dorrenbach fordert, dass über den Antrag sofort entschieden werden müsse.

Georg Ledebour spring ihm bei: „Wir stehen im Brennpunkt der Revolution. Es kommt auf Stunden an. Besonders die Matrosen verlangen Schutz gegen die Hetze, die Landsberg gegen sie in Szene gesetzt hat.“ Proteste, dass es spät und man müde sei, wischt der 68jährige mit dem Argument beiseite: „Ich bin der Älteste im Saal, und ihr jungen Kerle könnt auch noch aushalten.“ Inmitten wilder Tumulte gelingt es Hugo Haase, mit dem Versprechen den Antrag der Soldaten gleich am nächsten Morgen zu verhandeln, die Sitzung zu vertagen.

 

Später erklären viele der Regimenter, in deren Namen die Forderungen angeblich gestellt wurden, sie hätten mit der ganzen Aktion nichts zu tun.

 

Hinter den Kulissen jedoch treffen sich Ebert und Haase mit Mitgliedern des Vollzugsrates, der SPD- und USPD-Fraktion sowie Delegierten der Fronttruppen und des Heimatheeres. Gegen den Widerstand Eberts einigen sie sich darauf, am nächsten Morgen ein etwas weniger weit gehendes Programm des Hamburger Soldatenrates vom 9. Dezember, die „7 Punkte“ zur Abstimmung zustellen. Doch auch diese besagen, dass die Soldatenräte die oberste Kommandogewalt übernehmen, alle Rangabzeichen abgeschafft und das außerdienstliche Waffentragen verboten werden soll. Amtierende Offiziere, die nicht die Rückendeckung der Mannschaften haben, sind zu entlassen, neue von den Soldaten gewählt werden.

 

Unterdessen reicht Kriegsminister Schëuch seinen Rücktritt ein. Das Berliner Tageblatt meint, „dass er sich mit Anstand in die neue Zeit fand und – was an ihm lag – Konflikte zu verhindern willens war.“ Tatsächlich war Schëuch ab dem 9. November stets bemüht, Ebert zu stützen.

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