Dienstag, der 21. Januar 1919

Nun ist es offiziell: Die Nationalversammlung wird am 6. Februar im Neuen Theater in Weimar zusammentreten. Regierungssitz aber bleibt Berlin. Die Entscheidung soll vor allem auf Wunsch der süddeutschen Staaten getroffen worden sein. Es gibt aber auch die Gerüchte, es habe eine Rolle gespielt, dass die Spartakisten den Zusammentritt der Nationalversammlung verhindern wollten.

 

Theodor Wolff nennt den Beschluss „unerhört„. „Wie eine Dame, die nur in stiller Verborgenheit, unter Diskretion, niederkommen kann, wird also die deutsche Nationalversammlung gezwungen, sich von der Welt zurückzuziehen. … Warum Weimar gewählt wurde, wissen allein die Götter, die dort ja allerdings aus den klassischen Zeiten her, noch zu Hause sind. … Uns allen ist die Liebe zu Weimar, die frohe Verehrung für alles, was mit Weimar zusammenhängt, eine Selbstverständlichkeit. Nur einen Zusammenhang zwischen Weimar und der Nationalversammlung vermögen wir nicht zu sehen. Es wird gewiss sehr schön sein, wenn ein Redner seine Ausführungen mit den Worten beginnen wird: ‚Hier an dieser Stätte, wo der Geist Schillers und Goethes lebt …‘ Dichterzitate ergeben sich dort für Abgeordnete, die in den Klassikerbänden blättern, gewissermaßen von selbst. Aber so reizend die Stadt ist und so glanzvoll ihre Geschichte ist – die deutsche Nationalversammlung ist nicht eine Versammlung von Historikern und Literaturhistorikern, die Zurückschauen, sondern sie ist eine Versammlung, die selber Geschichte machen soll. Die deutsche Nationalversammlung braucht Raum für ihre Arbeit, sie braucht auch all die Einrichtungen, die eine große und umfangreiche Berichterstattung ermöglichen, und das findet man, bisher wenigstens in Weimar nicht. … Die Herren Volksbeauftragten scheinen sehr wenig Ahnung davon zu haben, welch ein Apparat, welch eine Summe telegraphischer, telephonischer und sonstiger Hilfsmittel zu einer solchen Berichterstattung gehört.“

Für die deutschen Satireblätter sind Ebert, Scheidemann und Co. auf den Spuren von Goethe in der Folge ein gefundenes Fressen. Weimar selbst ist über die Wahl nicht besonders glücklich. Zum einen wird die Stadt militärisch weiträumig abgesperrt und ist nur mit Passierscheinen erreichbar. Zum anderen befürchtet man, dass die Anwesenheit von 2000 bis 3000 ständigen Gästen – den Abgeordneten, Beamten, Soldaten und Journalisten – die prekäre Versorgungslage überstrapazieren könnte. Tatsächlich kurbeln dann die recht gut besoldeten Abgeordneten die Wirtschaft an, allerdings auch die des schwarzen Marktes.

 

Am Nachmittag fahren dann wieder mal keine Straßenbahnen mehr in Berlin. Doch diesmal sind keine politischen Unruhen schuld, sondern ein Streik der Elektrizitätsarbeiter, die statt zwei Mark Lohn pro Stunde drei haben möchten. In den Omnibussen und der Hochbahn, die ein eigenes Elektrizitätswerk hat, in dem nicht gestreikt wird, herrscht dagegen qualvolle Enge. Findige Rollwagenfahrer bieten zu Phantasiepreisen an, auch Personnen mitfahren zu lassen. Auch das Telefonnetz ist weitgehend stillgelegt. Am Abend schließen Geschäfte und auch die großen Kaufhäuser vorzeitig. Viele Straßen im Zentrum sind ohne Licht, was besonders unheimlich wird, als am Halleschen Tor wieder mal Schüsse fallen. Gaststätten, Theater und Kinos müssen fast überall schließen. Mancherorts behilft man sich mit Petroleumlampen. Besonders unheimlich ist es auf den Bahnhöfen, in denen sich Menschenmassen durch die fast stockdunklen Halle zu den Schaltern und über die Treppen zu den ebenso dunklen Bahnsteigen kämpfen. Nur an wenigen, besonders neuralgischen Stellen sorgen Öllampen für ein Minimum an Orientierung.

 

 

Auf einer Sitzung von Regierung und Zentralrat stellt Gustav Noske die neue deutsche Militärordnung vor: Die oberste Kommandogewalt hat die Regierung, die sie im Normalfall an den Kriegsminister delegiert. Alle militärischen Führungsstellen sind ihren unmittelbaren Vorgesetzten, aber auch der Reichsregierung verantwortlich. In allen Kommandos, Regimentern und gleichgestellten Formationen sind Soldatenräte zu wählen, in kleineren Einheiten Vertrauensleute. Die Räte überwachen die Tätigkeit der Offiziere, haben aber bei rein militärischen Dingen kein Mitspracherecht, sondern nur bei sozialen und wirtschaftlichen Fragen. Sie dürfen keine Offiziere absetzen, aber ihre Absetzung unter Angabe von Gründen beantragen.

Noske erklärt auch, dass 22.000 neue Mitglieder in die militärischen Freiwilligenformationen aufgenommen worden seien. Er hoft, dass es in zwei bis drei Wochen 50.000 sein werden. Alle Truppen der Armeeabteilung Lüttwitz mit Ausnahme der Brigade Reinhard und der Marinebrigade sollen aber aus Berlin wegverlegt werden, letztere jedoch für den Notfall zum Schutz der Regierung in Berlin bleiben. In erster Linie aber soll die Sicherheit in der Stadt durch Polizei, Sicherheitswehr sowie die Berliner Truppen gewährleistet werden. Alle Bürgerwehren seien zu demobiliseren, sollen jedoch nicht aufgelöst werden, sondern bei Bedarf von der Regierung wieder einberufen werden. Die Mitglieder müssen auf Listen verzeichnet, die Waffen in gut gesicherten Depots abgegeben werden. Trotzdem werben die Freikorps weiter um neue Mitglieder. Vorwürfe gegen die Regimenter schmettert er nieder. Überhaupt ist er bereit, jeden mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, der für die sozialdemokratische Regierung kämpfen will. Mit Waldemar Pabst entwickelt er eine enge und vertraute Arbeitsbeziehung.

Die neue Kommandoordung aber gerät von beiden Seiten unter Beschuss. Auf einem Treffen des Deutschen Offiziersbundes wird die Verordnung als „völlige Ächtung, Knechtung und Entrechtung der Offiziere“, die Regierung als Totengräber des deutschen Offizierskorps bezeichnet. Eine gedeihliche Arbeit sei auf dieser Grundlage für Offiziere nicht mehr möglich. Obwohl Kriegsminister Reinhardt die Ordnung als einen Kompromiss verteidigt, der in der augenlicklichen Situation sinnvoll sei, wird eine scharfe Protestresolution verabschiedet. Für viele Soldatenräte jedoch ist die Resolution eine „Erdrosselung der Räte“ und ein Verrat an der Revolution.

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