Dienstag, der 9. Dezember 1919

Otto Marloh wird von der Anklage des Totschlags freigesprochen. Er soll lediglich drei Monate Festungshaft wegen unerlaubten Entfernens verbüßen sowie 30 Mark Geldstrafe wegen gefälschter Urkunden zahlen.

Die Empörung darüber ist groß. Ernst Feder fordert im Berliner Tageblatt, die Hinterbliebenen der erwiesenermaßen unschuldigen Opfer großzügig zu entschädigen. Er räumt ein, dass damals Chaos und die Gefahr linker Gewalttaten bestanden habe, doch das Vorgehen gegen die unschuldigen Matrosen – angefangen von Reinhard über Kessel bis hin zu Marloh – aufgrund wager Gerüchte, zeige ein politisch motiviertes Vorgehen. „Es handelte sich in der Hauptsache darum, den Mitgliedern der Marinedivision, die als einzige miltiärisch straff organisierte revolutionäre Truppe ohne Offiziere den antirepublikanischen Offizieren im besondern Maße verhasst war, einen entscheidenden Schlag zuzufügen, mochte er Schuldige treffen oder Unschuldige. Es war die Abscheu gegen Revolution und Revolutionäre, der diesen Männern Urteil und Rechtsbewusstsein trübte. … Denn das mußte von vorneherein klar sein: Kessels Tat (der Marloh als Werkzeug diente) war kein individuelles Delikt, sondern dem Geiste des Offizierkorps entsprungen.“ Das zeigten auch die Ausführungen von Oberst Reinhard, der Kessel eine „hochanständige Gesinnung“ bescheinigte, während auch viele Deutschnationale (wie etwa Pastor Rump) von Kessels Vertuschungsversuchen zu Lasten Marlohs angewidert waren und selbst der Richter von einem „System von Niederträchtigkeiten“ gesprochen hatte. „Als die wichtigste politische Frage des Prozesses aber bleibt der Zweifel, ob es auf die Dauer möglich sein wird, eine demokratische Republik unter den Schutz eines antidemokratischen und antirepublikanischen Offizierskorps zu stellen“, schließt Feder. „Dieser innere Widerspruch birgt die Gefahr fortwährender Konflikte in der politischen wie in der Rechtssphäre. Vieles kann Deutschland ertragen. An der Erschütterung des Rechts und des Rechtsbewusstseins müsste es zugrundegehen.“

Gegen Hauptmann von Kessel wurde am Landgericht Berlin inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am 10. Dezember wird er wegen Meineids, Urkundenfälschung und Herausforderung zum Zweikampf verhaftet und im Untersuchungsgefängnis Moabit inhaftiert. Zuvor war er seines Amtes an der Spitze der Berliner Sicherheitswehr enthoben worden. Schon nach zwei Tagen wird der Haftbefehl aber aufgehoben. Die Begründung: Kessel sei noch Mitglieder Reichswehr und nur zu zivilen Sicherheitswehr beurlaubt gewesen, weshalb er der Militärgerichtsbarkeit unterstehe. Zunächst wird Kessel trotzdem umgehend wieder festgenommen, doch am 20. Dezember verfügt ein Gericht seine Freilassung, da die Voraussetzungen für einen Haftbefehl nicht gegeben seien.

 

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