Donnerstag, der 1. Mai 1919

In München verurteilen die Betriebs- und Soldatenräte per Flugblatt die „bestialischen Handlungen“, die sich am Vortag im Luitpold-Gymnasium zugetragen haben scharf und weisen jede Verantwortung dafür zurück. Sie fordern Arbeiter und Soldaten, sowie alle Sympathisanten der Räterepublik zu waffenlosen Demonstrationen auf. Sogar Rudolf Egelhofer befiehlt nun der Roten Armee die Waffen niederzulegen. Bereits am frühen Morgen erobern regierungstreue Kämpfer der Republikanischen Schutztruppe, die in München geblieben waren, das Luitpold-Gymnasium und erbeuten dabei zahlreiche Waffen. Dabei stoßen sie auf Eimer mit Fleischabfällen. Schnell verbreitet sich das Gerücht, den Ermordeten seien die Geschlechtsteile abgeschnitten worden.

Auch die ersten Verbände, die die Stadt umstellt haben, rücken auf eigene Faust ein. Ob dabei Gerüchte über die Morde im Luitpold-Gymnasium eine Rolle spielten, ist ungeklärt. Die Verbände dringen ohne nennenswerte Gegenwehr am morgen über die östlichen Stadtteile ein, gegen Mittag auch von Norden her.

Victor Klemperer berichtet, dass schon vorher nur noch weiße Armbinden, keine roten mehr zu sehen gewesen seien. Der Umschwung sei blitzschnell gekommen, ohne dass von Kämpfen etwas zu bemerken gewesen sei. Als die Truppen am frühen Nachmittag einziehen, werden sie mit Jubel begrüßt. „Zu einem wirklichen Volksfest kam es vor der Universität, in der preußische Truppen für den Augenblick einquartiert wurden. Zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben – die Herrlichkeit dauerte keine zwei Tage – sah ich eine freudige bayerisch-preußische Verbrüderung. Männer, Frauen und Kinder waren auf das Siegestor geklettert, kauerten malerisch auf dem Löwengespann, schwenkten Fahnen, winkten und schrieen.“

Am Nachmittag kommt zu Gefechten am Hauptbahnhof, am Stachus (Karlsplatz) und rund um das Rathaus am Marienplatz. Da dies natürlich gerade die am besten gesicherten Orte sind, erleiden auch die Angreifer Verluste. Der zwischenzeitlich eingenomme Hauptbahnhof muss am Abend wieder geräumt werden. Das Oberkommando befiehlt den kompletten Rückzur aus der Innenstadt, der jedoch nicht von allen Einheiten befolgt wird. Auch am Giesinger Berg gibt es schwere Kämpfe, da der Arbeiterbezirk erbittert verteidigt wird. Die Kämpfe ziehen sich dort über Tage hin.

Schnell gebildete und reaktivierte bürgerliche Kampfverbände aus bewaffneten Zivilsten, ehemaligen Soldaten und Polizisten besetzen die Feldherrnhalle und Residenz und machen Jagd auf „Rote“. Oskar Maria Graf notiert: „Jetzt waren auf einmal die verkrochenen Bürger da und liefen emsig mit umgehängten Gewehr und blauweißerBürgerwehr-Armbinde hinter den Truppen her. Wahrhaft gierig suchten sie mit den Augen herum … rannten einem Menschen nach, schlugen plärrend auf ihn ein, spuckten, stießen wie wildgeworden und schleppten den Halbtotgeprügelten zu den Soldaten.“

 

In Berlin wird das Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung aufgelöst. Die Behörde hat unter ihrem Leiter Oberst Dr. Joseph Koeth ganze Arbeit geleistet und seit November 1918 einen Gutteil der damals 8 Millionen Soldaten wieder in Lohn und Brot gebracht. Dazu mussten rund drei Millionen Rüstungsarbeiter in die Friedenswirtschaft überführt und etwa sechs Millionen Invaliden, deren Familienangehörige und Hinterbliebene gefallener Soldaten versorgt werden. Allerdings geschah dieses auf Kosten der Frauen, die im Krieg in die Bresche gesprungen waren. Aber auch Männer, die bei Kriegsausbruch nicht in der Industrie tätig gewesen waren, mussten ihren Arbeitsplatz für Heimkehrer räumen und wieder ihrer ehemaligen Tätigkeit nachgehen. Auf der anderen Seite wurden die Arbeitgeber gezwungen, ihre ehemaligen Arbeiter wieder einzustellen – allerdings oft in Kurzarbeit. Die bis dato kaum bestehende Erwerbslosenfürsorge wurde ausgebaut, eine Arbeitslosenvermittlung eingeführt, von den Arbeitgebern die Einstellung von zwei Prozent Schwerbeschädigten gefordert und die Versorgung von Invaliden, ihren Familien und den Familien der Gefallenen organisiert. Mit dem Jahreswechsel war dann die Industrie, die zu 95 Prozent für den Krieg gearbeitet hatte, auch nach und nach auf Freidensbedarf umgestellt worden. Allerdings beschleunigten die großzügigen staatlichen Subventionen und Darlehen auch die Inflation.

Nach den Anfangserfolgen blieb das Niveau der Sozialfürsorge während der gesamten Weimarer Zeit dann ebenso niedrig wie die Renten.

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