Donnerstag, der 21. November 1918

Auf Druck der USPD setzt der Rat der Volksbeauftragten eine Sozialisierungskommission ein. Sie soll eine Verstaatlichung der Montanindustrie vorbereiten und prüfen, welche Industrien darüber hinaus „sozialisierungstauglich“ sind. Leiter ist mit Karl Kautsky ein SPD-Mann. Zu den wissenschaftlichen Experten gehört u. a. der Österreicher Joseph Schumpeter, der später mit seiner Analyse Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie berühmt werden wird. Die Kommission wird bis zum 7. April 1919 bestehen. Am Ende hat sie ein Gesetz zur „Sozialisierung des Kohlebergbaus“ erarbeitet, das jedoch nie umgesetzt wird. Als einzig greifbarer Effekt werden in der Stahlindustrie sowie im Kohle- und Kalibergbau „Selbstverwaltungskörperschaften“ eingesetzt, Vorläufer der Betriebsräte.

Für Leute wie Ebert war die im Parteiprogramm der SPD angestrebte Sozialisierung jedoch auch vor dem Krieg nur eine Art utopisches Endziel gewesen, das in der Bedeutung hinter jeder konkreten Verbesserung der Situation der Arbeiter zurücktrat. Jetzt nach dem Krieg befürchten sie, dass es  durch eine Sozialisierung nicht nur zu unkontrollierbaren Verwerfungen mit den Unternehmern kommen könnte, sondern dass eine Übernahme der Betriebe in staatliche Hand auch – zumindest vorübergehend – deren Produktivität ernsthaft vermindern könnte. Etwas, was angesichts der verheerenden Versorgungs- und Wirtschaftslage dramatische Konsequenzen haben könnte. Möglicherweise spielt bei der Zurückhaltung in punkto Sozialisierungen auch das Kalkül eine Rolle, das die Alliierten bei ihren Reparationsforderungen staatseigene Betriebe wesentlich leichter beanspruchen könnten als private, und so gerade die lukrativen Kohle- und Stahlunternehmen gefährdet sind. Immerhin hat auch Lenin eine Sozialisierung verzögert, damit die Unternehmen nicht für die russische Schuldentilgung bei den Westalliierten herangezogen werden konnten.

 

Albert Südekum (SPD) und Hugo Simon (USPD), die Volksbeauftragten im preußischen Finanzministerium, erklären am nächsten Tag der Presse, dass zum Beispiel Betriebe zur Gewinnung von Monopolprodukten oder die Versorgung mit „Elektrizität mit möglichster Beschleunigung in Gemeingut überführt werden müssen“. Die Sozialisierung der Gas- und Wasserwerke, der Elektrizität und der Straßenbahnen, wird tatsächlich erfolgreich umgesetzt werden, denn hier haben die Sozialdemokraten auch ihre künftigen Koalitionspartner mit im Boot, allen voran Matthias Erzberger, für den die Grundversorgung der Bevölkerung zu seinen zentralen politischen Anliegen gehört.

Südekum und Simon stellen weiter eine Steuerreform in Aussicht, die es mit sich bringen werde „dass auch die zunächst in der kapitalistischen Betriebsform weiterbestehenden Gewerbe mehr oder weniger ihren früheren rein privaten Charakter einbüßen und zu den Gemeinlasten mehr als bisher beitragen.“ Weiter kündigen sie Verfolgung und scharfe Bestrafung von allen an, die Vermögen ins Ausland transferieren. „Abschiebung von Vermögensteilen in dieser Zeit ist wie Fahnenflucht vor dem Feinde zu betrachten.“

 

Dem Bremer Arbeiterrat ist das alles viel zu wenig sozialistisch. Auf einer von rund 2000 Personen besuchten Kundgebung spricht er sich für Kommunismus und Bolschewismus aus. Der USPD-Abgeordnete Alfred Henke kündigt seinen Parteigenossen in der Regierung, Haase und Dittmann, die Freundschaft auf und fordert statt Wahlen zur Nationalversammlung für die nächsten Jahre eine Diktatur der Arbeiter- und Soldatenräte. Auch die Räte in Braunschweig und im Bezirk Niederrhein unter Führung von Düsseldorf, Solingen und Remscheid votieren gegen baldige demokratische Wahlen.

 

Auch in Moskau rechnet der galizische Sozialist Karl Radek in der Iswestija sowohl mit Ebert wie mit Haase heftig ab. „Wir stehen hier vor dem Beispiel des Verrats, der viel schlimmer ist als der Verrat vom August 1914. Damals hat die machtlose Arbeiterklasse vor dem allmächtigen Kapital kapituliert. Die gegenwärtige Politik Haases und Eberts ist nicht einmal Kapitulation, sondern ein Vorschlag mitzuhelfen, um den Aufmarsch der internationalen Revolution gegen den Kapitalismus zu hemmen. Hieraus ergibt sich mit zehnfacher Beweiskraft der konterrevolutionäre Charakter.“ Radek war 1912 auf Betreiben Eberts wegen seiner heftigen Angriffe auf Kautsky und andere Genossen aus der SPD ausgeschlossen worden, hatte sich aber auch mit Rosa Luxemburg überworfen. In der Konsequenz hat er sich Lenin angeschlossen und hat diesen 1917 nach Russland begleitet.

 

Das Berliner Tageblatt aber setzt seine Abrechnung mit den Kräften, die Deutschland in den Krieg geführt haben, fort. Diesmal zerlegt der Diplomat Anton Graf Monts den deutschen Kriegsplan: „Man wird fragen: wie konnte unsere zivile Reichsregierung ihr Einverständnis mit der abenteuerlichen Idee der westlichen Offensive und des Einbruches in das neutrale Belgien erklären? … Der belgische Plan des Generalstabs war in und außerhalb Berlins politischen Kreisen kaum ein Geheimnis, um so unbegreiflicher aber erscheint es, dass weder der erste Kriegskanzler, noch sein unmittelbarer Amtsvorgänger sich diesem von jungen Generalstabsoffizieren und unreifen Prinzlichkeiten oft vorlaut und präpotent geäußerten belgischen Bellizitäten durch Stellung der Kabinettsfrage widersetzten.“ Noch schlimmer aber sei gewesen, dass der deutschen Regierung trotz der Warnungen ihres Botschafters in London nicht klar gewesen sei, dass sich durch den Einmarsch in Belgien – und nur dadurch – in England die Kriegspartei habe durchsetzen können. Allerdings zieht Monts nicht den Schluss, dass Deutschland den Krieg unter allen Umständen hätte vermeiden sollen, da er überzeugt ist, dass Russland ihn unbedingt wollte, ja herbeiführte, um von seinen inneren Problemen abzulenken. „Eine einseitige russische Orientierung unserer Offensive, Gewehr bei Fuß der anderen Hälfte unserer Armee Frankreich gegenüber, wäre von den besten Wünschen der ganzen gesitteten Welt getragen gewesen.“

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