Freitag, der 12. März 1920

Der Beleidigungsprozess, den Finanzminister Erzberger gegen den früheren Staatsekretär des Innenamts Karl Helfferich angestrengt hat, endet mit einem Triumph für den Beleidiger. Helfferich wird zwar zu einer kleinen Geldstrafe von 300 verurteilt, seine Behauptungen jedoch vom Gericht als „teilweise wahr“ bezeichnet. Außerdem werden ihm „vaterländische Motive“ zugebilligt.

Erzberger, so heißt es in der Urteilsbegründung, habe sich in drei Fällen gegen die Wohlanständigkeit, in sechs Fällen des Meineides und in sieben Fällen der Vermischung persönlicher Geldinteressen mit der Politik schuldig gemacht.

Selbst weit in das linke und liberale Lager hinein, findet sich kein Mitleid mit ihm. So schreibt der Publizist – und spätere Bundespräsident – Theodor Heuss in dem Wochenblatt Deutsche Politik: „Es ist fabelhaft, wie wenig innere Hemmungen dieser Mann besitzt. Die Geschichte seines Ehrgeizes beginnt im Hinterhaus: nicht die Macht zu wollen, sondern die Macht zu ärgern, ist sein Anfang; Drohung, Enthüllung, Wichtigtuerei … Dazu kommen ein paar Eigenschaften, die brauchbar sind: Fleiß, Verstand, Beweglichkeit, Bonhommie und Draufgängertum … Wir haben ihn nie geliebt; doch wenn er jetzt als Prototyp der Korruption gemalt wird, so muss man fast von einer Korruption aus Fahrlässigkeit sprechen. Ein Mann, dem es Freude macht, sich gebrauchen zu lassen, weil es seiner Eitelkeit schmeichelt, der mächtige Erzberger zu sein … ohne feinere Grenzempfindung, dass öffentliche Macht zur privaten Zurückhaltung verpflichtet.“

Auch Ernst Feder vom Berliner Tageblatt bleibt bei der Meinung, dass Erzberger zurücktreten muss. Trotzdem dürfe man über seinen Fehlern nicht seine Verdienste übersehen. Etwa die Friedensresolution, „deren Wirkung nur durch die Schwäche der Zivilregierung und die Obstruktion der Militärmachthaber vereitelt worden ist. Und im Finanzwesen hat er trotz der schweren Gesetzesfehler, die auch wir scharf bekämpft haben, durch die Verreichlichung der Steuern einen nationalen Fortschritt von hoher Bedeutung erzielt.“ Auch habe der Prozess „keineswegs die Abgründe der Korruption enthüllt, von denen Helfferich schaudernd erzählt hat.“ So habe auch das Gericht Helfferichs Anschuldigungen der gemeinen Lüge und Dennunziation als nicht erwiesen eingestuft. Ebenso habe kein Beweis erbracht werden können, dass Erzberger sein politisches Agieren von seinen geschäftlichen Interessen abhängig gemacht habe. Die Einstufung von Erzbergers Verhalten gegen Bethmann Hollweg im Juli 1917 als „politische Lüge“ kann Feder nicht nachvollziehen. Überhaupt sei das Urteil ungeheuer milde und Helfferichs Motive hätten überhaupt keine Rolle gespielt.

Erzberger legt in der Folge sein Amt nieder. Außerdem versucht er, mittels Selbstbezichtigung wegen Meineids und Steuerhinterziehung ein Verfahren gegen sich selbst einzuleiten, dass ihn dann von diesen beiden Vorwürfen freispricht. Doch seine Gegner verhindern dies mit allen Mitteln, vertagten etwa die Aufhebung seiner Immunität. Am 21. Juni 1921 wird die Voruntersuchung wegen Meineid gegen ihn eingestellt – weil es keinerlei Indizien für einen Anfangsverdacht gibt. Auch das Verfahren wegen Steuerhinterziehung wird eingestellt. Am 17. August 1921 – neun Tage vor seiner Ermordung durch rechtsradikale Attentäter. Im Zentrum aber setzen sich die rechten, konservativen Kreise durch.

 

Währenddessen der Prozessausgang die Öffentlichkeit beschäftigt, versetzt die Regierung um 11 Uhr vormittags die Garnisonen in Berlin, Potsdam, Spandau, Döberitz, Zossen und Jüterbog sowie die Berliner Sicherheitspolizei in Alarmbereitschaft und lässt die Bewachung im Regierungsviertel verstärken, weil sie mit einem Putsch der bei Döberitz stationierten Marinebrigaden droht. Die Regierung schickt Admiral Adolf von Trotha nach Döberitz. Doch anstatt, dass er die Marinebrigaden zum Einlenken bringt, versichert er, dass die offizielle Marine einer erfolgreichen Putschregierung zur Verfügung stehen würde.

Die Abendblätter bringen dann Meldungen über die Putschgefahr. Noch in der Nacht beginnen die rund 8000 Mann, die bereits das Hakenkreuz am Stahlhelm oder auf Armbinden gemalt tragen, ihren Marsch auf Berlin.

Die Regierung wird um 23 Uhr informiert. Noske berät sich daraufhin im Reichswehrministerium in der Bendlerstraße mit den verschiedenen Kommandanten. Mit Ausnahme des Chefs der Heeresleitung, General Walther Reinhardt, lehnen alle den Kampf ab. „Truppe schießt nicht auf Truppe“, erklärt der Chef des Truppenamtes, General von Seeckt. Die verantwortlichen Offiziere der drei Regimenter, die das Regierungsviertel bewachen, haben den anrückenden Putschisten bereits mitteilen lassen, dass sie Noskes Befehlen nicht Folge leisten würden.

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