Christa Pöppelmann > November 1918 > Freitag, der 18. Oktober 1918
Freitag, der 18. Oktober 1918
Wie auf die Lansing-Note antworten? Diese Frage beschäftigt weiter Regierung und Öffentlichkeit. Die rechten Kreise agieren leidenschaftlich für eine Ablehnung. Dabei geht es nicht nur darum, ob man auf eine bedingungslose Räumung der besetzten Gebiete eingehen soll, sondern auch gegen die 14-Punkte Wilsons. Dass Wilson vorwiegend polnisch bewohnte Gebiete im Osten für einen polnischen Staat reklamiert, wird etwa im Aufruf der Freikonservativen Partei zur Auslieferung von „durch Jahrhunderte lange Kulturarbeit erworbenen deutschen Lands an die Fremdherrschaft.“ Den Bruch mit den alten Kräften bezeichnet man als geforderte „Entehrung“, die Kritik am uneingeschränkten U-Boot-Krieg als unerhörte Beschimpfung der kühnen Flotte. In Danzig bilden Männer von „Bildung und Besitz“ einen Volkssauschuss für nationale Verteidigung und rufen dazu auf, überall ähnliche Ausschüsse zu bilden. Der linksliberale Abgeordnete Ludwig Haas, der bis 1915 selbst Offizier war und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde, verurteilt dies im Berliner Tageblatt scharf. „Wir haben während des Krieges schon genug durch Ausschüsse erduldet; der Brechreiz fällt uns an, wenn tugendhafte Männer und Frauen in der höchsten Not des Vaterlandes ihre kindischen Gründungen machen. … Wenn sich … Ausschüsse bilden ohne jede Sachkenntnis und dann mit Prophezeiungen und falschen Informationen das Volk überschwemmen, wie jene früheren Gründungen zur Förderung des unbeschränkten U-Boot-Krieges, dann wird ihre Arbeit zum nationalen Unglück.“ Aber auch Haas erklärt, „einen Frieden, der gegen die Ehre geht und der uns und unserem Kindern das Recht zum Leben nimmt, zieht das deutsche Volk dem Kampf bis zum letzten Ende vor.“ Er ruft dazu auf, zu vertrauen, dass die Regierung „in enger Fühlung mit der Obersten Heeresleitung“ das Richtige tue. Auch die SPD warnt, dass das deutsche Volk in Gefahr laufe, „das Opfer der Eroberungssucht englisch-französischer Chauvinisten und Eroberungspolitiker zu werden.“ All das Treiben und Geschrei der deutschen Chauvinisten würde diese Gefahr aber nur vergrößern. Deshalb sei es nötig, zur neuen Regierung zu stehen und deutlich zu machen, dass in Deutschland wirklich ein Bruch mit den alten Mächten stattgefunden habe.
An der Front jedoch geht der Rückzug weiter. Die deutschen Truppen räumen Lille, Oostende, Douai und mehrere andere Städte. Ein Bericht des Wolffschen Telegraphen-Bureaus listet haarklein auf, wie oft Douai vorher von den englischen Truppen beschossen worden sei und was dabei zerstört worden sei, um Vorwürfen systematischer deutscher Zerstörungen zu begegnen. Ein anderer Bericht schildert detailliert, wie ein englischer Zerstörer erst neun Mitglieder eines torpedierten deutschen U-Bootes habe ertrinken lassen, obwohl sie leicht gerettet hätten werden können, und danach die übrigen von einem Rettungsboot aus immer wieder mit dem Ruder unter Wasser gedrückt wurden, um militärische Geheimnisse zu erfahren. Wie man an solche Informationen gekommen sein will, wird nicht verraten, aber auch Zeitungen wie das Berliner Tageblatt, das sich früher gerne darüber lustig gemacht hat, wie ausländische Blätter unmittelbar nach der Einnahme einer Stadt dort durch deutsche Truppen begangene Gräueltaten erfahren haben wollen, drucken sie ab.
Die Bewegung an der Front führt auch dazu, dass die Massenflucht in Belgien und Frankreich unverändert weiter geht. Holland rüstet sich, etwa Hunderttausend Flüchtlinge aufzunehmen. In Frankreich beschließt der Senat, von Deutschland eine moralische und materielle Entschädigung für seine Kriegstoten zu verlangen und darauf zu bestehen, dass die Verantwortlichen bestraft werden.