Mittwoch, der 14. Januar 1920

Für die Regierung stehen die Schuldigen an dem Blutbad vom Vortag fest. „Es ist der traurige Ruhm der unabhängigen Sozialdemokratie, einzig und allein die gestrigen Vorgänge hervorgerufen zu haben“, erklärt Kanzler Bauer im Reichstag, als die unterbrochene Sitzung fortgesetzt wird: „Sie haben ihre Opfer vor den Reichstag getrieben und schließlich in den Tod gehetzt. … Von der Sicherheitswehr kann nur gesagt werden, dass sie sich in ganz unglaublicher Weise zurückgehalten hat. Bis zur letzten Minute haben die Leute gezögert und erst in alleräußerster Lebensnot von der Waffe Gebrauch gemacht.“ Auch Bauer behauptet, dass einige Abgeordnete der USPD „mit den Massen draußen Fühlung genommen hätten“ und durch Tücherschwenken und andere Zeichen zum Sturm aufgefordert hätten. Außerdem spannt er einen Bogen von den Aufständen des letzten Winters über die zahlreichen Streiks, zuletzt die massiven Eisenbahnerstreiks, hin zu der blutig endenden Demonstration und redet von Kräften, die sich verschworen hätten, den Staat zu ruinieren.

Die USPD reagiert mit wütendem Protest und schreit dann alle weiteren Redner nieder. Schließlich schlägt Reichstagspräsident Fehrenbach vor, die vorgesehene Rednerliste zu ignorieren und der USPD das Wort zu erteilen. Das wiederum ruft den Protest der Rechten hervor. Sie werden jedoch von SPD, USPD sowie Teilen der Liberaldemokraten und des Zentrums überstimmt und verlassen den Saal. Doch der USPD-Abgeordnete Alfred Henke kann die Chance nicht wirklich nutzen. Seine Rede ist eine reichlich verdruckste Verteidigung des Demonstrationsrecht durchsetzt mit Floskeln, keine entscheidene Zurückweisung der Vorwürfe.

Viel mehr Chancen bekommen die Linken nicht, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Denn die Regierung verhängt über ganz Norddeutschland den Ausnahmezustand. Alle öffentlichen Versammlungen und Demonstrationen werden verboten und durch Militärs strikt unterbunden, die kommunistischen und USDP-Zeitungen verboten, viele führende Politiker, darunter die Parteivorsitzenden von KPD und SPD, verhaftet. Die bürgerliche Presse schließt sich der Einschätzung der Regierung an. Viele „harmlose, durch Phrasen verwirrte, einer politischen Überlegung nicht fähige und nur herdenmäßig mitlaufende Männer, Frauen, Mädchen und Knaben“ seien von radikalen Putschisten in einen Sturm auf das Reichstagsgebäude verwickelt worden. „Sieht man genauer zu, dann finden sich immer wieder die gleichen Schieber, die erst die allgemeine Verwirrung schaffen wollen, um auf den Trümmern ihre neue Gesellschaft aufzubauen. Und doch sollte sich, wer etwas weiter denkt, sagen müssen, dass die Rätediktatur, wenn sie sich wirklich vorübergehend etablieren sollte, zuletzt nur eine Diktatur von oben herausfordern würde“, schreibt Paul Michaelis im Berliner Tageblatt. „Wer nur noch eine Spur demokratischen Empfindens in sich fühlt, der wird sich gegen beide Versuche, dass deutsche Volk zu vergewaltigen, mit aller Kraft zur Wehr setzen.“ Auch das Bestreben der Regierung, einen geordneten Eisenbahnverkehr zu erzwingen, hält er für legitim, da die Folgen des Streiks wegen der mangelnden Versorgung mit Lebensmitteln und Kohle unerträglich für das ganze Volk seien.

Aber auch die KPD wettert in einer (beschlagnahmten) Ausgabe der „Roten Fahne“ gegen die Demonstrationen, die von ein paar „Führerchen“ der USPD aus „engherzigem Parteigeist“ ohne Absprache angezettelt worden sei und der „großen Bewegung“ geschadet hätten.

Gegen das Verbot der linken Zeitungen ohne Begründung und Beweise jedoch erhebt der Verband der großstädtischen Zeitungsverleger Einspruch.

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