Christa Pöppelmann > November 1918 > Mittwoch, der 22. Januar
Mittwoch, der 22. Januar
In Berlin geht der Streik der Elektrizitätsarbeiter nach 30 Stunden zu Ende. Arbeiter der obersten Besoldungsstufe sollen statt wie bisher zwei Mark, ab sofort 2,50 pro Stunde, nach einem Jahr 2,65 bekommen. (In der untersten Gruppe werden es nur 1,68 bzw. 1,80 Mark sein).
Ansonsten ist hier nach der Wahl vor der Wahl, denn am nächsten Wochenende wird der Preußische Landtag gewählt. Die rechten Parteien nutzen den Vorschlag Verfassungsrechtler Preuß, das Land in 16 etwa gleich große Länder zu teilen, um Wahlkampf zu machen. Wer sich gegen „den abenteuerlichen Wahnwitz“ der Zerstückelung Preußens wehre, müsse deshalb deutschnational oder nationalliberal wählen. Angesichts dessen wagt seine eigene Partei, die Deutsche Demokratische Partei, Preuß nicht beizustehen, sondern erklärt, ebenfalls gegen eine Zerschlagung Preußens zu sein. Auf jeden Fall werde man darauf bestehen, dass die endgültige Entscheidung nicht von der Nationalversammlung, sondern im Preußischen Landtag getroffen werde.
Im Berliner Tageblatt greift Russland-Korrespondent Hans Vorst nocheinmal den Spartakus-Aufstand auf. Er legt dar, was Deutschland von Russland unterscheidet, weshalb er nicht glaubt, dass eine bolschewistische Revolution hierzulande gelingen kann. Doch die Macht, auf die sich Lenin stütze, sei eine geistige Macht. „Lenin ist die Hoffnung all derer, die am Bestehenden verzweifelnd nur von dem Umsturz aller Dinge das Heil erwarten.“ Und auch in Deutschland gebe es Massen, die an den sozialistischen Zukunftsstaat glauben „wie einst an das ewige Leben.“ „Je verzweifelter die wirtschaftliche Lage wird, desto verführerischer klingt die Parole des Kommunismus, umso leichter sammeln sich die scharen, die ihn ’sofort‘ verwirklichen wollen, und wenn es sein muss, mit Gewalt.“ Der offenen Gewalt müsse man mit Gewalt begegnen, der Schutz des Rechtes aber auch für die Besiegten gelten. „Dass Gefangene ohne Urteil erschossen, dass sie vom Pöbel misshandelt und ermordet wurden, ist ein Entsetzen, das unbedingt verhindert werden musste. Nachdem es geschehehn ist, verlangt es strengste Sühne. Es ist grauenvoll und unheilverheißend, das die barbarischen Methoden des russischen Bürgerkriegs auch bei uns Eingang finden konnten.“
In Hamburg stürmen Demonstranten das Gewerkschaftshaus, wo der Arbeiterrat tagt. Außerdem werden einige Polizeistationen besetzt. Den ganzen Nachmittag sind in der Stadt Schießereien zu hören, am Abend wird der Belagerungszustand verhängt, aber am nächsten Morgen um 10 Uhr wieder aufgehoben.