Mittwoch, der 27. November 1918

Bayern geht weiter auf Konfrontation! Der Vollzugsausschuss des Arbeiter-, Soldaten- und Bauenrates München erklärt seine Entrüstung „über die unerhörte Tatsache, dass noch immer kompromittierte Vertreter des bisherigen Systems, die Herren Erzberger, Solf, David und Scheidemann entscheidenden Einfluss, besonders in der auswärtigen Politik, ausüben. Wir verlangen die sofortige Beseitigung dieser konterrevolutionären Elemente und fordern den Soldatenrat Berlin auf, mit allen Mitteln den Sturz einer Regierung herbeizuführen, die weiterhin solchen Personen eine entscheidende Stellung einräumt.“ Und das bayerische Außenministerium erklärt, jeden Verkehr mit den Vertretern des auswärtigen Reichsamtes einzustellen. Daraufhin ersucht auch der Berliner Vollzugsrat die Regierung, Wilhelm Solf zu entlassen und alle Akten des Auswärtigen Amtes unter Mitwirkung des Vollzugsrats beschlagnahmen und bewachen zu lassen.

Kurt Eisner, wieder in München, legt auf einer Sitzung des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates nach. Wieder macht er Erzberger und Solf persönlich dafür verantwortlich, dass Deutschland keine besseren Waffenstillstandsbedinungegen und noch keinen Frieden bekommen hat und munkelt von „Entdeckungen“, die diese womöglich fürchten. Über Erzberger habe er „einige interesante Mitteilungen“ in den bayerischen Akten. Der Zentrumspolitiker habe „die ganze Weltkorruption organisiert, Journalisten im In – und Auslande gegen die Entente gekauft. Der Presse wirft er „verruchte Treibereien“, Lügen und Schwindel vor und versteigt sich zu der Erklärung:  „Das Spiel, dass im November 1918 geführt wird, ist nicht minder ruchlos als das im Juli und August 1914.“

Teilweise ähneln seine Auslassungen frappant denen der rechten Vertreter der Dolchstoßlegende, zumal er wie diese Erzberger und Scheidemann zu seinen bevorzugten Feinden zählt.

Das Berliner Tageblatt glaubt, dass hinter dem „immer seltsameren“ Gebaren Kurt Eisners zwei Motive stecken.

  1. „Herr Kurt Eisner fühlt sich persönlich verletzt, weil das Auswärtige Amt die Veröffentlichung der bayerischen Gesandschaftsakten, aus denen auch dem Zweifler die schwere Schuld oder Mitschuld am Kriege klar werden musste, missbilligt hat.“
  2. “ Die Vertrauensmänner Clemenceaus haben Herrn Professor Foerster[einem führendem Kritiker des deutschen Militarismus und Eisners Gesandter in der Schweiz] auch erklärt, man könne mit Deutschland nicht verhandeln, weil noch immer zuviel kompromittierte Persönlichkeiten an der Regierung beteiligt seien.“ (Einen Kontakt, den der französische Ministerpräsident Clemenceau zwei Tage später über die Agentur Havas dementieren lässt. Tatsächlich war es der US-amerikanische Pazifist George D. Herron, der Foerster nahelegte, ein radikales deutsches Schuldeingeständnis würde bei den Alliierten einen guten Eindruck machen.)

 

Tatsächlich haben beide Lager Angst, dass ein falsches Verhalten, den Friedensprozess gefährden könnte. Die deutsche Regierung glaubt nicht mehr daran, dass die Kriegsgegner, vor allem die Franzosen, einer unbelasteteten Regierung – und als solche betrachtetet man sich selbstverständlich – entgegenkommen würde, wenn sie mehr Demut zeigt. Für sie geht es darum, alles zu tun, um dem Gegner keinen Vorand zu liefern, noch härter zu agieren. Die Reden der Regierungsmitglieder, aber auch die Kommentare in der Presse sind von Warnungen durchzogen, dass die Franzosen, falls die deutsche Mobilmachung nur im Geringsten stocke, dies zum Vorwand nehmen könnten, zumindest die linksrheinischen deutschen Gebiete zu annektieren, schlimmstenfalls durch eine Wiederaufnahme des Krieges eine Spaltung in einen süd- und einen norddeutschen Staat erzwingen könnte. Eisner wird deswegen als bodenlos naiv angesehen, seine Querschüsse als Einladung an den Gegner, diese offenkundige Spaltung zu nutzen.

Eisner dagegen hält das Szenario einer Wiederaufnahme des Kriegs für vollkommen ausgeschlossen und demzufolge jede unfreundliche Äußerung gegen Frankreich für ebenso fahrlässig wie gefählich.

Die Veröffentlichung der Kriegsschulddokumente spielt dagegen eine geringere Rolle, denn im Grunde sind sich sowohl Eisner wie seine Kritiker einig, dass die kaiserliche Regierung schwere Schuld am Krieg trägt. Die Regierung ist allerdings nicht von einer deutschen Alleinschuld überzeugt, weswegen sie eine internationale Konferenz fordert, die die Akten aller Beteiligten sichten soll. Bis dahin sollen die deutschen Dokumente von Karl Kautsky gesichtet werden.

Darüber hinaus nimmt man Eisner übel, dass er fordert als oberste Bundesautorität ein komissarisches Reichspräsidum einrichten, das aus ihm selber, die drei USPD-Politiker Haase, Dittmann und Kautsky sowie dem parteilosen Pazifisten Johann Wilhelm Muehlon bestehten soll. Dass ein Vertreter eines Bundeslandes der Regierung ihre Zusammensetzung diktieren will, sei eine extreme Anmaßung, die „kein Fürst gewagt hätte“. Der Journalist Erich Dombrowski schreibt: „General Ludendorf stürzte Herrn v. Bethmann Hollweg und beseitigte Herrn v. Kühlmann. … Der Vollzugsrat [der Eisner unterstützt]wandelt getreu in seinen Spuren.“

Im Vorwärts, für den Eisner von 1897 bis 1905 gearbeitet hatte, gießt sein ehemaliger Kollege Friedrich Stampfer Hohn und Spott über ihn aus. Die ganze Belegschaft, bis in die Setzer- und Maschinensäle, sei in Gelächter ausgebrochen, als sie gehört hätten, dass Eisner bayerischer Ministepräsident geworden wäre. „Es war keiner unter uns, der Eisner von der alten Zeit her nicht liebte, keiner, der ihm übel wollte oder ihn missachtete … Wozu wären wir ein befreites Volk, wenn es nicht erlaubt wäre, einem alten Freund offen und öffentlich zu sagen: Du hast in Deinem Leben schon viele Böcke geschossen, aber dass Du Dich von Deinen revolutionären Schwabinger Literaturfreunden zum Ministerpräsidenten machen ließest, war Dein größter Bock. … Kasperlekomödie des Lebens, … mit dem Dichter in der Titelrolle.“

Aber auch Eisners Gewährsmann, Professor Friedrich Wilhelm Förster, distanziert sich von dessen Reden gegen eine Nationalversammlung. Der selbstlose Charakter Eisners stehe außer Frage und viele seiner Grundideen erschienen weiter ausgezeichnet, nicht aber die Methoden zur Durchführung. Das tiefe Misstrauen der Arbeiterkreise und ihrer Führer gegen die Intelligenz und das Bürgertum sei zwar begreiflich, aber ohne Zusammenhalt werde Deutschland zugrunde gehen und das Symbol für den Zusammenhalt sei die Nationalversammlung. Auch werde die Entente weder Frieden schließen, noch Nahrungsmittel senden, wenn Deutschland nicht eine vom Mehrheitswillen getragene Regierung bekomme.

 

Unterdessen haben sich die Berliner Arbeiterräte zu einer zweiten Vollversammlung getroffen, auf der Emil Barth Tacheles mit den Genossen redet. Der Vorsitzende der Revolutionären Obleute ist ein Außenseiter im Rat der Volksbeauftragten und wird von den anderen fünf regelmäßig überstimmt. Doch sein Amt geht an dem leidenschaftlichen Revolutionär nicht spurlos vorüber. Es stehe so verzweifelt um die Kohlenbeschaffung, den Transport, die Ernährung und die Rohstoffversorgung, dass sich derzeit sozialistische Experimente verbäten, erklärt er. Deutschland brauche Friede, Freiheit und Brot. Ohne Lösung dieser Frage, habe der Sozialismus keine Chance. Nicht einmal für Streiks sei es die Stunde. Löhne und Arbeitszeiten müssten sich an der Gegebenheiten und Bedürfnissen orientieren. So könne zum Beispiel in der Landwirtschaft der Achtstundentag derzeit nicht durchgesetzt werden, weil möglichst viel von der Kartoffel- und Rübenernte vor dem Erfrieren gerettet werden müsse, während in der Industrie der Vierstundentag bevorstehe, um auch den Millionen von heimkehrenden Soldaten Arbeit zu verschaffen. Auf den Zwischenruf „Kapital beschlagnahmen“ erwidert er. „Nein, wenn wir morgen alle Fabriken und Bergwerke beschlagnahmen und alles sozialisieren, so wäre daran nichts geändert, weil wir dadurch noch kein Geld haben.“

Wie Barths Rede zeigt, fehlen auf dem Land Arbeitskräfte, in der Stadt aber Arbeit. Bezahlter, sechstägiger Urlaub, 50 Mark in bar und eine Fahrkarte Dritter Klasse sollen deswegen Berliner, die vom Land stammen, bewegen, dorthin zurückzukehren.

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