Mittwoch, der 28. Januar 1920

Der Zustand von Matthias Erzberger wird als „ernst, aber nicht besorgniserregend“ eingestuft. Die Kugel, die ihn getroffen hat, hat das Schulterblatt teilweise zerschmettert und kann vorerst nicht entfernt werden. Er hat starke Schmerzen und Herzprobleme, aber kein Fieber. Aus dem Ausland kommt teils herzlichere Anteilnahme als aus Deutschland. So haben auch die diplomatischen Vertreter der Briten, Franzosen, Belgier und Italiener ihr Beileid bekundet.

 

Im Berliner Tageblatt erscheint der zweite Teil einer Abrechnung eines ehemaligen deutschen Militärs mit der Vorkriegspolitik. Oberstleutnant Ernst Paraquin hatte eine führende Rolle in der deutschen Orientpolitik gespielt, war aber dann wegen seiner scharfen Kritik an der Duldung der türkischen Massaker an den Armeniern seines Dienstes enthoben worden. Nun zeigt er auf, dass die deutsche Orientpolitik nicht nur mit Kriegsverbrechen verbunden, sondern auch naiv und konzeptlos war. Sein Resummee: „Die rechtstehenden Parteien, in denen nach ihrem wiederholten Bekenntnis allein die echte Vaterlandsliebe zu finden ist, kennen nur mehr eine Politik seit der Revolution. Diese soll Deutschland den Verlust des Krieges gekostet haben. In weiser Zurückhaltung spricht man in diesen Kreisen nicht mehr von der politischen Vorgeschichte des Krieges. Denn dann müsste man bekennen, dass niemals ein großes Volk eine haltlosere diplomatische Führung besessen hat als wir vor dem Kriege. Man müsste aber auch bekennen, dass diese Verantwortung für diese völlig ungenügende politische Verteidigung gegen einen Krieg gerade den Kreisen zufällt, die nunmehr die führenden Schichten der deutschnationalen und deutschen Volkspartei bilden. Denn weder Sozialisten, noch Demokraten, noch Juden besassen in den Jahrzehnten, in denen sich Deutschlands gegenwärtiges Schicksal langsam vorbereitete, maßgebenenden Einfluss in der Regierung oder gar in der Diplomatie.“

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