Mittwoch, der 29. Januar 1919

Die Reichsregierung beschließt der Bremer Räterepublik ein Ende zu bereiten und zieht Truppen in Verden zusammen. Die Räteregierung wird aufgefordert, die Arbeiter zu entwaffnen und die Wahrung der inneren Sicherheit dem in Bremen stationierten Infanterieregiment zu überlassen, was jedoch verweigert wird.

 

Auf einer Tagung der Waffenstillstandskommission werfen sich die deutsche und die Entente-Seite wieder einmal eine Unmenge kleinerer Verletzungen des Vertrages vor. So hat die französische Militärverwaltung zum Beispiel die Freilassung zweier von der deutschen Regierung anmnestierten politischen Gefangenen in den besetzten Gebieten untersagt. Außerdem sollen die Gruben im Saarland keine Kohlesteuer mehr nach Deutschland abführen. Generalmajor Detlof von Winterfeldt allerdings hat hingeschmissen. Die Art der Durchführung des Waffenstillstandes durch die Kriegsgegner habe es ihm unmöglich gemacht, seine Tätigkeit fortzusetzen, schreibt er in einem offenen Telegramm und betont ausdrücklich, dass es kein Zerwürfnis mit Delegationsleiter Erzberger gegeben habe und er bei diesem imme nur Vertrauen und volles Entgegenkommen gefunden habe.

 

Paul Block, Feuilletonchef des Berliner Tagblattes, hat nach der Besetzung während der Januaraufstände ein Bild des alten Fritz vermisst und dies in der Zeitung kundgetan. Nun erhält er es zurückgeschickt, zusammen mit einem Brief von einem der Besetzer. Der Schreiber, dessen Namen Block nicht veröffentlicht, obwohl der Brief unterschrieben ist, erklärt, er wäre der ursprüngliche Kommandant im Mosse-Verlag gewesen, habe jedoch schon am dritten Tag, dem Dienstag, erkannt, dass das allgemeine Ziel, die Beseitigung der Regierung nicht mehr zu erreichen und die Besatzung damit hinfällig geworden sei. Sie abzubrechen habe jedoch nicht mehr in seiner Macht gestanden. Es tue ihm leid, dass er auch bei der Schonung des Eigentums gescheitert sei. „Dass wir auch hier die Zügel aus der Hand verloren, lag meines Erachtens daran, dass die Leute durch die dauerenden Aufregungen derart moralisch geschwächt waren, dass die unlauteren Elemente Oberwasser gewannen.“ Zwar halte er an dem Ziel der proletarischen Revolution fest, für den Moment aber sie er zu der Überzeugung gekommen, dass alle Kommunisten, Unabhänigen, Mehrheitssozialisten usw. ihren blutigen Streit beenden und für geordnete Verhältnisse sorgen müssten. „Meiner Ansicht nach muss unsere politische Meinung der wirtschaftlichen Not weichen, auf Grund unseres elementarsten Wahlspruchs: Alles für das Proletariat, nicht für den Kapitalismus.“

 

Doch ein „Wiederaufbau“ kommt nicht wirklich in Gang. Im Großraum Berlin sind fast eine Viertel Million Menschen arbeitslos, da die Fabriken aufgrund der Rohstoffknappheit, vor allem, was Kohle betrifft, nicht oder nur auf Sparflamme produzieren. In der Landwirtschaft, dem Straßenbau, in den Zechen und auch was Dienstpersonal angeht, fehlen jedoch Arbeitskräfte. So suchen etwa die Niederlausitzer Braunkohlewerke Arbeiter, wollen aber nur einen Tagelohn von 9 Mark ohne Verpflegung und Unterkunft zahlen. Der Kreis Teltow bietet sogar nur 8,35 Mark im Wegebau. Zum Vergleich: Die Arbeitslosenunterstützung beträgt seit dem 6. Januar 8 Mark pro Tag für verheiratete Männer, 7 für unverheiratete 7 und 5 für Frauen. Viele Stimmen fordern, sie zu kürzen, um die Empfänger zur Arbeit zu zwingen.

 

Auch die Temperaturen sind nicht zur Arbeit im Freien geeignet. Seit zwei Tagen ist es eisig kalt geworden. Die Temperaturen liegen vielfach unter -10 Grad, dazu bläst ein scharfer Ostwind.

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