Montag, der 15. März 1920

Vor allem in Berlin und in den Industriegebieten steht die Wirtschaft komplett still. Auch die Eisenbahnen verkehren nicht. Mancherorts führt das zu einer explosionsartigen Anstieg der Lebensmittelpreise. Auf dem Potsdamer Platz und am Brandenburger Tor versammeln sich kleinere Gruppen, die Kapp hochleben lassen und „Nieder mit den Juden!“ brüllen. Sie werden jedoch von der Masse des Volkes niedergeschrien. In der Schlossstraße in Berlin-Steglitz, der Rheinstraße in Friedenau, am Hallesches Tor und an der Ecke Invaliden/Brunnenstraße kommen Menschen bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Militärs und Oppositionellen um. In Berlin-Köpenick besetzen Arbeiter die Albatros-Werft und entwaffnen die dort stationierten Soldaten.

 

In sehr vielen Orten im Land stellen sich die verantwortlichen Stellen, aber auch die Bevölkerung gegen die Putschisten. Anderswo erzwingen sympathiserende Militärs eine Erklärung für Kapp. In Potsdam verbietet der Garnisonskommandant Generalmajor von der Hardt jede Kundgebung zugunsten der „früheren“ Regierung und kündigt an, Streiks als „Verbrechen am Volksleben“ mit aller Macht zu unterbinden.“ In Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz übernimmt de einstige Afrika-Kämpfer Paul von Lettow-Vorbeck mit Hilfe einer Reichswehrbrigade und des Freikorps Roßbach die Macht, setzt die Regierung ab und nimmt deren Mitglieder in Schutzhaft. Später erklärt er dann, er habe nur den Befehlen seines Vorgesetzten Lüttwitz (von dessen Absetzung er nichts gewusst haben will) zu folgen. In einem Prozess im September 1920 wird er freigesprochen und ehrenhaft aus der Armee entlassen. In Hamburg verbreitet der Garnisonsälteste Generalmajor von Wangenheim Gerüchte über einen kommunistischen Putsch und lässt Rathaus, Stadthaus, Gewerkschaft und Bahnhof unter „Schutzbewachung“ stellen, die jedoch schnell von der Sicherheitswehr unblutig beendet wird. In Weimar erklärt der militärische Befehlshaber, Generalmajor Hagenberg die Landesregierung für abgesetzt und lässt Verhaftungen vornehmen. Auch andere Thüringer Städte werden von Truppen, die den Putsch unterstützen, besetzt und rechte Bürgerwehren aktiviert. Es kommt zu Kämpfen mit den streikenden Arbeitern und zu Toten. Anderswo scheitern Übernahmeversuche. In Leipzig wird tagelang gekämpft. Auch in Dresden, Frankfurt, Greifswald, Halle, Hannover, Kassel, Lüneburg, Potsdam, Senftenberg und anderen Orten gibt es Tote. In Weimar werden 9 streikende Arbeiter und Arbeiterinnen erschossen. Walter Gropius entwirft später für sie das „Denkmal der Märzgefallenen.“

In Harburg bei Hamburg marschiert eine bei Stade stationierte Einheit „Baltikumer“ ein, die sich ebenfalls ihrer Demobilisierung entzogen hat, und quartiert sich in einer Schule ein. Geführt wird sie von Rudolf Berthold, der im Krieg hoch dekorierter Jagdflieger war. Berthold möchte sich den Putschisten in Berlin anschließen, zuvor aber die Offiziere eines in Harburg stationierten Pionierbataillons befreien, die verhaftet worden waren, weil sie mit dem Putsch sympathisierten. Berthold hatte zuvor in Stade mit Gewalt und Todesdrohungen gegen die Familien der Eisenbahner einen Zug für sich und seine Leute requiriert. Nun fordert er in Harburg neben den Freilassungen auch noch Waffen aus Reichswehrbeständen. Doch die Stadtoberen lehnen ab. Sozialdemokratische Milizen und andere Bürgerwehren, sowie Mitglieder des Pionierbataillons belagern die Schule. Die Eingeschlossenen reagieren mit Warnschüssen, die Belagerer schießen zurück. Schließlich bietet Berthold die Kapitulation an, doch beim Abzug seiner Leute fallen wieder Schüsse. Wer sie abgegeben hat ist unklar. Berthold selbst flieht vor der wütenden Menge in ein Wirtshaus, wird aber dort herausgezogen und attackiert. Als er seine Pistole ziehen will, wird er selbst erschossen. Mit ihm sterben 11 Baltikumer. Harburger Bürger und Milizionäre kamen 14 um. Dazu gab es mehrere, teils schwer verletzte auf beiden Seiten. Der damals 18jährige Ernst von Salomon, der zu Bertholds „Eiserner Schar“ gehört hatte, hielt die Ereignisse 1930 in seinem Roman „Die Geächteten“ fest, verfälschte dabei aber manches und trug so zur Legendenbildung bei, etwa, dass Berthold die Kehle durchgeschnitten worden sei.

 

Der deutsche Verhandlungsführer in Versailles meldet nach Berlin, „dass der Berliner Putsch alle die Befürworter einer Zerstückelung Deutschlands und einer Annexion des Rheinlandes wieder auf den Plan ruft und natürlich Wasser auf die Mühlen all derer führt, die England und Amerika klar machen wollen, dass jede Berücksichtigung deutscher Lebensinteressen einen Verrat an Frankreich bedeutet.“

Die vielen Arbeiter, die den Putsch zum Scheitern gebracht haben, fallen gegen die putschenden Soldaten nicht ins Gewicht – wohl auch, weil sich die deutsche Regierung ihr Werk auch nicht stolz ans Revers heftet. Auch in der französischen Presse heißt es, der Putsch habe alle Illusionen zerstreut, die man sich vor allem in den angelsächischen Ländern über Deutschland gemacht habe. Alle Vorschläge, Deutschland zu unterstützen, seinen ein schwerer Fehler gewesen. Wenn man nicht neuen Kriegen Tür und Tor öffnen wolle, dürfe Deutschland in seiner jetzigen Struktur nicht mehr fortbestehen. Eine günstigere Gelegenheit, der deutschen Einheit ein Ende zu machen und den größten Teil Deutschlands dem preußischen Einfluss zu entziehen, gebe es nicht mehr.

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