Montag, der 26. Januar 1920

Der Gerichtstag läuft für Minister Erzberger nicht gut. Ein Ministerialdirektor namens Neuhaus erklärt, dass Erzberger sich während des Krieges in sehr penetranter Weise für Thyssens Wünsche eingesetzt habe und dass diese sehr wohl die Übereignung von Gruben im Gebiet Briey-Longwy als Ersatz für durch den Krieg verlorene eigene Gruben in anderen Gebieten Frankreichs anstrebten. Ein Unterstaatssekretär bestätigt, dass Erzberger in seiner Haltung zu Ausfuhrzöllen eine totale Kehrtwende vollzogen habe. Außerdem erklärt Helfferichs Anwalt Alsberg, Erzberger sei im Handelsregister einer Firma namens Ostropa eingetragen gewesen – während Erzberger schwört, die Firma überhaupt nicht zu kennen.

Erzberger verlässt das Gerichtsgebäude in Moabit gegen halb drei durch einen Seitengang, wo ein Auto auf ihn wartet. Als er – schon im Wagen – noch ein paar Worte mit seinem Rechtsanwalt wechselt, drängt sich der 21jährige, ehemalige Fähnrich Oltwig von Hirschfeld heran und schießt zweimal auf ihn. Eine Kugel verletzt ihn an der Schulter, eine zweite prallt an Erzbergers Uhrenkette ab. Erzbergers Begleiter überwältigen den Täter. Der erklärt später vor Gericht, er habe Helfferichs Aufruf „Fort mit Erzberger!“ wörtlich verstanden. Das Gericht unterstellt ihm „edle Motive“ und verurteilt ihn nur zu 18 Monaten Gefängnis.

Für das Regierungslager ist vor allem die rechte Presse an dem Attentat schuld: „Was weiß der offenbar nicht sehr geistesscharfe Revolverknabe von Erzberger und der Politik! Er hat doch nur das, was er gelesen und gehört hatte, in die Tat umgesetzt“, schreibt das Berliner Tageblatt.

Doch wirkliche Freunde hatte Erzberger auch im linken und liberalen Lager nicht. Noch am Morgen hatte es zum Beispiel Theodor Wolff in seinem wöchentlichen Leitartikel dargelegt, der Prozess kläre vielleicht auch, wo die Grenze zwischen dem Schicklichen und dem Unschicklichen in den Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft sei. Er führte an, dass auch die alten Kräfte bis hin zu Bismarck einträgliche Kontakte zur Wirtschaft hatten und Helfferichs Skrupel in dieser Hinsicht etwas spät erwacht seien, ließ aber durchblicken, dass er auch Erzbergers Geschäfte doch recht zweifelhaft fand. Aufklärung, wie sie tatsächlich zu bewerten seien, müsse der Prozess bringen. Außerdem konnte er es nicht lassen, Erzberger als „nicht liebenswert“ zu bezeichnen, zu behaupten, er habe sich ohne eine Brocken Französisch zu können, zu den Verhandlungen mit Marschall Foch gedrängt, und sei später durch die öffentliche Bekundung „Wir unterzeichnen alles“ „dem in Versailles um die Vertragsänderung ringenden Grafen Brockdorff-Rantzau in den Rücken“ gefallen. Als Finanzminister gaukle er mit Ziffern und zeige „deutlich das Bestreben, durch die Opferung des kapitalistischen Isaak sich, für die Tage der Prozessgefahren, die Götter der Sozialdemokratie zu verpflichten, und in seinem ganzen Schaffen sieht man schnellfüßigen Dilettantismus und wurstige Unsolidität.“

Bei Erzberger hinterlässt das Attentat tiefe Spuren. Seiner Tochter Maria sagt er: „Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen.“ Am 26. August 1921 wird er dann von zwei ehemaligen Offizieren der rechten Organisation Consul in Bad Grießbach erschossen.

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