Sonntag, der 15. Dezember 1918

Weihnachten wirft seine Schatten voraus. In den Zeitungen tauchen Anzeigen für Luxusprodukte auf. Es scheint tatsächlich noch so viele Menschen in Deutschland zu geben, die über die Anschaffung eines Persianer-Pelzmantels in Glockenform für 1350 Mark oder gar über einen Seal Bisam mit großem Wickelkragen für 3900 Mark nachdenken können, dass sich ein Inserat lohnt. Für die meisten aber bleibt sogar die Weihnachtsgans unerschwinglich, da das Federvieh nach wie vor Mangelware ist.

 

Polen setzt für den 26.Januar die Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung an. Gewählt werden soll auch in allen deutschen Ostgebieten. Außerdem bricht Polen die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab. Dort ist die Empörung natürlich groß. Dem Nachbarn wird vorgeworfen, den Ergebnissen der Friedensverhandlungen vorzugreifen und mit Gewalt auch Gebiete wie Danzig an sich reißen zu wollen, in denen die Polen gegenüber den Deutschen deutlich in der Minderheit sind und die nach Wilsons Selbstbestimmungsrecht der Völker demnach bei Deutschland bleiben müssten. Die deutsche Regierung wird aufgefordert, nicht weiter eine Vogel-Strauß-Politik zu betreiben und diesen Bestrebungen nicht tatenlos zuzusehen. Victor Schiff, den Korrespondenten des Berliner Tageblatts,  wundert es allerdings nicht, dass sogar im seit sechs Jahrhunderten deutschen Oberschlesien die „großpolnische Propaganda“ Fuß fassen konnte. Durch die bewusste Versetzung protestantisch-preußischer Beamter habe man in der Vergangenheit einen künstlichen Gegensatz zwischen Deutschen und Polen dort erst geschaffen und auch das friedliche Miteinander von Katholiken und Juden zerstört. Auch habe man damit den allmächtigen katholischen Klerus dazu gebracht, gegen Deutschland und für Polen Partei zu ergreifen.

 

In Paris gibt es einen begeisterten Empfang für US-Präsident Wilson, der zur Aufnahme der Friedensgespräche eintrifft.

 

Im Berliner Tagblatt ruft die Sozialreformerin und promovierte Philosophin Alice Salomon die Frauen auf, ihre neu gewonnen politischen Möglichkeiten zu nutzen, um soziale Belange in die Politik zu tragen. Im Berufsleben gereiche es Frauen oft zum Nachteil, dass sie in der Regel keinen Machtkampf führen und sich schützend vor das Leben stellen, schreibt sie, in der Politik könne sich das aber positiv auswirken und die Parlamente vom „Geist der wirtschaftlichen Interessenvertretung“ befreien. Salomon fordert die Frauen auf, jenseits von den starren Doktrinen des Sozialismus eine Abkehr vom kapitalistischen Geist zu bewirken. „Denn dieser war mehr als die privatkapitalistische Leitung des Wirtschaftslebens, die Grundursache des Klassenkampfs, aller Not, aller Härten des Wirtschaftslebens.“ Außerdem verspricht sie: „Wir Frauen bringen der Partei noch eines schließlich mit: den jugendlichen Optimismus derer, die neu in die Politik treten, und der selbst in dunkelster Stunde auf die Morgendämmerung vertraut. Den unbesiegbaren Glauben daran, dass nicht die Dinge und Verhältnisse uns beherrschen, dass es vielmehr der Mensch ist, der die Geschichte gestaltet, und dass kein Leben zu kostbar oder zu wertlos ist, um sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Den unbegrenzten Idealismus derer, die die Entwicklung des eigenen Geschlechts zu neuer Verantwortungen miterlebt haben, und über alle äußeren und inneren Niederlagen hinweg an den Fortschritt der Menschheit glauben, wenn nur der sittliche Wille im Volke wiedergeboren wird.“

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