Sonntag, der 3. November 1918

In Kiel versammeln sich am späten Nachmittag mehrere Tausend Menschen auf dem Großen Exerzierplatz: Matrosen, aber auch Frauen und Männer aus der Arbeiterschaft. Neben den üblichen Rufen nach Frieden und Brot werden die Forderungen, den Inhaftierten zu helfen, immer lauter. Schließlich setzen sich die Massen in Bewegung. In einer Soldatenunterkunft, dem Lokal Waldwiese, werden Eingesperrte befreit und die Waffenkammer geplündert. So ausgerüstet wollen die Protestierer zur Marine-Arrestanstalt in der Feldstraße weiter. Doch in der Karlstraße stellt sich ihnen eine Armeeeinheit entgegen. Lauter junge Rekruten, angeführt von einem Leutnant Oskar Steinhäuser. Die Soldaten haben Anweisung, die Marschierenden aufzuhalten und dabei auch von der Waffe Gebrauch zu machen. Das tun sie. Mehrere Männer werden getroffen, teils tödlich. Einige Demonstranten fliehen in Panik. Doch andere gehen gegen die Angreifer vor, worauf auch ein Teil der jungen Rekruten das Weite sucht. Schließlich treffen andere Armeeeinheiten ein und zerstreuen die Demonstranten. Das Zusammentreffen hat sieben Protestierer das Leben gekostet, 29 andere wurden schwer verletzt. Auf der Gegenseite gibt es nur einige glimpfliche Verletzungen, u. a. wurde Leutnant Steinhäuser niedergeschlagen.

Gouverneur Souchon ordert daraufhin zusätzliche Truppen. Doch die Kommandanten der in Kiel stationierten Soldaten versichern ihm, sie hätten alles im Griff. Also zieht der Gouverneur sein Gesuch zurück. Er ruft aber in Berlin an und fordert die neue Regierung dringend auf, ihm einen hervorragenden, sozialdemokratischen Abgeordneten zu schicken, der beruhigend auf die Aufständischen einwirken soll, um Revolution und Revolte zu vermeiden.

 

Auch in Braunschweig rufen die linken Sozialisten zu einer großen Protestveranstaltung auf. Um möglichst viele Zuhörer anzulocken, behaupten sie, Liebknecht würde sprechen und zudem kämen 1000 Matrosen, was beides nicht stimmt. Die Macht der Linken ist in Braunschweig jedoch stark. Hier sind die Abgeordneten der USPD und nicht der SPD bei Weitem die „Mehrheitssozialisten“. Es gibt ein Netzwerk für Deserteure und der Widerstand gegen die Burgfriedenspolitik begann schon im Dezember 1914.

 

In Spa hört Kaiser Wilhelm II. von den Vorkommnissen und tobt. Er droht „die Antwort mit Maschinengewehren auf das Pflaster zu schreiben“. Er denke nicht daran, „wegen der paar 100 Juden und der 1000 Arbeiter den Thron zu verlassen.“

 

In Berlin nimmt Max von Baden nach seiner Krankheit die Amtsgeschäfte wieder auf. Was dem Kanzler fehlte und ob er überhaupt krank war oder sich aus taktischen Gründen eine „Auszeit“ genommen hat, darüber spekulieren die Historiker. Der Autor Manfred Vasold etwa geht von der Spanischen Grippe aus, während der Bremer Professor Lothar Machtan glaubt, Kaiserin Auguste Viktoria habe dem Prinzen gedroht, seine angebliche Homosexualität publik zu machen, weil er ihren Mann habe absetzen wollen. Das soll bei Prinz Max zu einem schweren Nervenzusammenbruch geführt haben.

 

In Padua unterzeichnen Österreich und Ungarn, seit einigen Tagen ja offiziell geschieden, ihren Waffenstillstand. Damit ist für alle einstigen Verbündeten des Deutschen Reiches der Krieg beendet. Für Deutschland jedoch bedeutet das, dass die Entente-Mächte über österreichisches Gebiet angreifen könnten, wenn es nicht schnell einen eigenen Waffenstillstand schließt. Bayern stellt schon mal Grenzschutztruppen auf, auch weil es Gerüchte gibt, in Böhmen und Tirol seien „sengende und plündernde Banden“ versprengte k.u.k-Soldaten unterwegs.

Die zerfallende Doppelmonarchie nährt aber auch die Ängste hinsichtlich eines Zerfalls des Deutschen Reiches, etwa in welchen Grenzen die von US-Präsident Wilson geforderte und von Deutschland bereits zugestandene „Auferstehung“ Polens stattfinden soll. In einer halbseitigen Zeitungsanzeige fordern Bürger der Provinz Posen, dass ihr Land nie einem anderen Staat als Preußen und einem anderen Reich als dem deutschen angehören dürfe.

Einen Vorgeschmack auf das, was Wilsons „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ an Verwerfungen produzieren wird, bieten die Kämpfe in Galizien. Polen reklamierte das einstige Habsburger Kronland am 30. Oktober für sich, einen Tag später proklamierte der ukrainische Nationalrat in Ostgalizien die Westukrainische Volksrepublik. Ukrainische Truppen besetzen nun die Städte Lemberg und Przemyśl, die im Gegensatz zu den ländlichen Gegenden Galiziens mehrheitlich polnisch bevölkert sind.

 

 

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