Dienstag, der 1. Oktober 1918

Die geplante Regierungsumbildung wird größtenteils mit Begeisterung aufgenommen. „Der Kaiser hat die Bahn frei gemacht für das neue Deutschland“, jubelt etwa der linksliberale badische Abgeordnete Ludwig Haas im Berliner Tageblatt. Bei dessen Chefredakteur Theodor Wolff dagegen kommt trotz des lang ersehnten politischen Sieges keine Euphorie auf. Vielmehr ahnt er den Ludendorffschen Dolchstoß: „Die deutsche Volksvertretung wird zur wirklichen Teilnahme an der Regierung in einem Augenblicke berufen, wo die unerfreulichen Ereignisse aufeinander folgen und wo niemand sagen kann, welch neues Ereignis sich morgen an den Abfall der bulgarischen Regierung und an alles andere anreihen wird. Die Reichstagsmehrheit darf selbstverständlich der Aufgabe nicht ausweichen, aber sie muss mit kluger Voraussicht handeln, und es muss hinterher nicht mit einigem Erfolge die Idee verbreitet werden können, ohne sie wäre alles sehr viel besser gegangen, und erst sie habe dieses oder jenes Malheur herbeigeführt.“

Der Tenor der rechten Blätter ist gespalten. Während die nationalliberale Tägliche Rundschau hetzt, der „Machthunger der Demokratie“ habe die schwersten Stunden des Vaterlandes für ihre Zwecke ausgebeutet und einen Sieg erfochten, der nur neue Erschütterungen bringe, finden die eigentlich dem rechtsradikalen Alldeutschen Verband nahestehenden Leipziger Neuesten Nachrichten, dass Hertling zu Recht abgelöst worden sei und eine „Regierung auf breitester Grundlage“ einige Schwierigkeiten lösen könne. Und während die Post über „die Preisgabe der von den Reichsgründern geschaffenen Grundlage des Reiches“ jammert, führt das konservative Leitmedium, die Kreuzzeitung, an, dass ja mit der Parlamentarisierung nicht die Monarchie abgeschafft werden solle. Für das SPD-Blatt Vorwärts dagegen geht es darum, die eigene Partei auf Linie zu bekommen. Er verteidigt die Bereitschaft der Abgeordneten, sich mit bürgerlichen Gruppen an einen Tisch zu setzen. Für den Augenblick gehe es um Frieden und Demokratisierung. Sei beides erreicht, würde die Volksmehrheit schon für eine Sozialisierung der Verhältnisse sorgen.

 

Natürlich wird auch über den nächsten Kanzler spekuliert. Als Favorit gilt Vizekanzler Friedrich von Payer. Der württembergische Jurist ist eines der Gründungsmitglieder der Fortschrittlichen Volkspartei und hat schon gegen Bismarck für eine innenpolitische Demokratisierung gekämpft. Der OHL war er mit seinem Eintreten für einen Verhandlungsfrieden ein Dorn im Auge, manche Mitglieder des Interfraktionellen Ausschusses jedoch fanden ihn zu kompromissbereit. Doch zu Diskussionen kommt es nicht, denn der 71jährige bittet mit Rücksicht auf sein Alter, ihn nicht als Kanzler in Erwägung zu ziehen. Auch der fünf Jahre jüngere Reichstagspräsident Constantin Fehrenbach vom Zentrum winkt ab. Also kommt der Favorit von Hertling und der OHL ins Spiel: Max von Baden. Der Prinz ist zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt, Präsident des badischen Oberhauses, mit einer Prinzessin von Hannover und Schwägerin der Kaisertochter Victoria Luise verheiratet, und designierter Nachfolger seines kinderlosen Vetters, Großherzog Friedrich II. von Baden. Er ist Offizier der preußischen Armee gewesen und hat Jura und Kameralwissenschaft studiert, eine altmodische, auf Fürstentümer zugeschnittene Form der Verwaltungswissenschaft. 1914 hat er seine eigentlich schon beendete Militärlaufbahn kurzzeitig noch einmal aufgenommen, sich dann aber lieber als Ehrenpräsident des Badischen Roten Kreuzes für die Kriegsgefangenen aller Nationalitäten eingesetzt. 1917 protestierte er öffentlich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und prangerte die „Kriegsverrohung“ an. Politische Erfahrung hat er zwar nicht, dafür aber internationales Renommee und den Ruf, liberal zu sein.

 

Der Prinz ist erst einmal geschockt, als er von Major Erich von dem Bussche, dem Sondergesandten der OHL, erfährt, wie schlimm die Lage an der Front wirklich ist. Er bittet sich Bedenkzeit aus.

 

Im Großen Hauptquartier schenkt Ludendorff seinen Abteilungschefs reinen Wein ein. Als einen wesentlichen Grund nennt er neben dem Abfall der Verbündeten, dass die Truppe „schon schwer versucht, durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen“ sei. Er könne nicht mit Divisionen operieren, auf die kein Verlass mehr sei. Als ihn sein Stabschef Albrecht von Thaer anschließend fragt „Glauben Excellenz denn, dass die Feinde den Waffenstillstand gewähren werden? Würden Exzellenz es tun anstelle von Marschall Foch [dem französischen Oberbefehlshaber]?“, erwidert er: „Nein, sicher nicht, erst recht zufassen. Aber vielleicht kommt auch ihm und seinen Leuten dieser Antrag erwünscht. Im Kriege kann man so etwas nie wissen.“ Später versichert er noch, er selbst werde nicht zu jedem Frieden ja sagen. „Gewinnen wir aber durch den Waffenstillstand auch nur Ruhe oder sind die Gegner in ihren Forderungen zu frech oder zeigt sich sonst die Möglichkeit, noch durch den Kampf bis aufs Messer unsere Lage zu besseren, dann werden wir, glauben Sie mir, auch bis zum Alleräußersten kämpfen!“

 

Dem Volk jedoch wird berichtet, dass sowohl die englischen Angriffe auf Cambrai wie das amerikanische Vorrücken zwischen Argonner Wald und Maas unter schweren Verlusten für den Feind vereitelt worden seien. Immer noch wird für das Zeichnen von Kriegsanleihen geworben. Statt launiger Reime gibt es diesmal ernste Warnungen: „Geht das Land in Trümmer, reißt es dich mit“

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