Mittwoch, der 2. Oktober 1918

Auch die Führer der Reichsparteien werden von Major von dem Bussche informiert, dass es an der Front sehr schlecht steht. Ganz überraschend kommt das nicht. Auf einer Sitzung der SPD vom 22. und 23. September hat Fraktionschef Philipp Scheidemann die innen- und außenpolitische Lage bereits als katastrophal bezeichnet. Trotzdem sind alle tief geschockt. Dabei lässt Ludendorff mal wieder nicht die ganze Wahrheit verkünden. „Noch ist das deutsche Heer stark genug, um den Gegner monatelang aufzuhalten, örtliche Erfolge zu erringen und die Entente vor neue Opfer zu stellen“, behauptet von dem Bussche. „Aber jeder Tag weiter bringt den Gegner dem Ziel näher und wird ihn weniger geneigt machen, mit uns erträglichen Frieden zu schließen.“

Dass die Parteiführer diesen Optimismus nicht teilen, zeigt die anschließende Beratung der SPD. Scheidemann plädiert dafür, nicht in ein bankrottes Unternehmen hineinzugehen. Parteichef Friedrich Ebert jedoch appelliert eindringlich an das nationale Verantwortungsgefühl der sozialdemokratischen Parlamentarier. Auch zuvor schon hatte er eindringlich dafür geworden, in eine Regierung einzutreten, wenn die Möglichkeit bestehe und gewisse Minimalforderungen erfüllt würden. Denn ansonsten überlasse man das Schicksal der Partei einer unkontrollierbaren Revolution. „Wer die Dinge in Russland erlebt hat“, sagte er, „der kann im Interesse des Proletariats nicht wünschen, dass eine solche Entwicklung bei uns eintritt. Wir müssen uns im Gegenteil in die Bresche werfen, wir müssen sehen, ob wir genug Einfluss bekommen, unsere Forderungen durchzusetzen und, wenn es möglich ist, sie mit der Rettung des Landes zu verbinden, dann ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit das zu tun.“

Schließlich wird eine von SPD, Zentrum, Fortschrittlicher Volkspartei und Nationalliberaler Partei getragene Regierung unter Führung von Max von Baden beschlossen. Außen vor bleiben die Rechten – Deutschkonservative, Freikonservative Partei sowie einige kleinere antisemitische und Bauernparteien hatten 1912 jedoch zusammen nur 16 Prozent der Stimmen bzw. 67 von 397 Sitzen erhalten -, die von der SPD abgespalteten USPD mit 24 Abgeordneten sowie die Parteien der nationalen Minderheiten (Polen, Elsaß-Lothringer, Hannoveraner und Dänen) mit 27 Sitzen.

 

In der Öffentlichkeit weckt die Regierungsumbildung Hoffnungen, dass es zu Friedensgesprächen kommen könne. Aber eher mittel-, als kurzfristig. Die Informationen über die dramatische Situation an der Front und der Forderung der OHL nach einem sofortigen Waffenstill dringen nicht nach außen. Major von dem Bussche hat die Parteiführer im Auftrag der OHL eindringlich beschworen, darüber Stillschweigen zu bewahren, um sich vor dem Kriegsgegner keine Blöße zu geben. „Weder Heer noch Heimat dürfen etwas tun, was Schwäche zeigt. Gleichzeitig mit dem Friedensangebot muss in der Heimat eine geschlossene Front entstehen, die erkennen lässt, dass der unbeugsame Wille besteht, den Krieg fortzusetzen, wenn der Feind uns keinen Frieden oder nur einen demütigenden Frieden geben will.“ Daran halten sich alle und verbreiten in der Folge strikt die Behauptung der OHL, die Front könne noch monatelang ausharren.

Und so räsoniert etwa Walter Rathenau – Industrieller und Publizist sowie Initiator und bis März 1915 auch Leiter der Kriegsrohstoffabteilung – im Berliner Tageblatt: „Wir haben unser unberührtes Land, unser Heer, unsere Versorgung und unsere Rüstung. Der Feind steht nicht zwischen Jüterbog und Wittenberg … Wir halten den Krieg beliebig lange aus.“ Frieden, meint er, gäbe es nur, wenn beide Seiten ihn gleichzeitig wünschten. „Es gibt keinen Unterschied zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg, sondern jeder hat sich seiner Haut zu wehren, bis beide einsehen, dass der Kampf zwecklos und verbrecherisch war.“ Deshalb müsse das Volk einerseits auf die Friedensbereitschaft der eigenen Regierung drängen, gleichzeitig aber auch den Krieg mit Ruhe und Festigkeit – und vor allem ohne innenpolitische Schuldzuweisungen – weiterführen, bis auch der Gegner von der Friedensbereitschaft überzeugt sei.

Und die PR-Kampagne für die Zeichnung der Kriegsanleihen fordert heute: „Der neunte Gang zu den Altären des Vaterlandes! Leg dein Scherflein in die Opferschalen! Die anderen, Größere wie Du, Herrliche, Glorreiche, füllten Sie mit ihrem Blute! Sie zu ehren, gib zur „Neunten“.“

 

In Spa dagegen drängt Ludendorff zu äußerster Eile. Ungebeten platzt er in eine Besprechung zwischen dem Kaiser und Graf Hertling und will wissen, warum die neue Regierung noch nicht gebildet sei. Das Friedensangebot müsse noch heute raus. Seinem früheren Adjutanten verrät er den Grund seiner Eile. „Ich muss die Armee ungeschlagen nach Hause bringen.“

Hindenburgs 71. Geburtstag wird trotzdem gefeiert, eine „laute Trinkerei im Generalstab mit Tanzen“ und „Abschied von der alten Zeit.“

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