Montag, der 30. September 1918

Das politische Berlin erhält eine schriftliche Erklärung von Kaiser Wilhelm II. Darin heißt es, der Monarch nehme das Rücktrittsgesuch von Kanzler Hertling mit schwerem Herzen an. Und weiter: „Ich wünsche, dass das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeitet. Es ist daher mein Wille, dass Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen werden, in weitem Umfange teilnehmen an den Rechten und Pflichten der Regierung.“  Der Kaiser bittet den Kanzler vorerst die Geschäfte weiterzuführen, „und die von Mir gewollten Maßnahmen in die Wege zu leisten, bis Ich den Nachfolger für Sie gefunden habe.“ Doch allen Beteiligten ist klar, dass das Geschwurbel auf die Bildung einer vollständig vom Parlament getragenen Regierung und die Einsetzung eines ebenfalls von der Parlamentsmehrheit gewählten Kanzlers hinaus laufen muss. Mit den Sondierungen werden der linksliberale Vizekanzler Friedrich von Payer und der parteilose Chef des Reichsschatzamtes Siegfried von Roedern beauftragt. Die beiden führen noch am Abend Gespräche mit allen im Reichstag vertretenen Fraktionen. Erwartungsgemäß erklären sowohl die rechten Parteien wie die linke USPD, sich nicht an der neuen Regierung beteiligen zu wollen, so dass am Ende die Mitglieder des Interfraktionellen Ausschusses übrig bleiben.

 

Den wahren Grund, warum der Kaiser, einst entschiedener Gegner jeder Parlamentarisierung, gerade jetzt nachgibt, erfahren weder die Politiker noch das Volk. Sie glauben, dass er sich endlich dem langen Drängen der Mehrheit seiner Untertanen gebeugt hat. Außenpolitisch dominiert die Nachricht, dass der bulgarische Verbündete einen Waffenstillstand unterzeichnet hat, was sich allerdings schon seit Tagen abgezeichnet hat.

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