Dienstag, der 23. März 1920

In Berlin läuft das Leben langsam wieder an. Die Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung sowie der öffentliche Nahverkehr und das Telefonnetz funktionieren jedoch nur teilweise. Da auch die Drucker am Streik beteiligt waren, werden Bekanntmachungen in den Amtsstuben teils per Maschine vervielfältigt und ausgehängt, was natürlich nicht gerade zu einer großen Verbreitung führt.

Reichspostminister Johannes Giesberts von der Zentrumspartei, ein langjähriger Gewerkschafter, und Landwirtschaftminister Otto Braun von der SPD kommen nach Bielefeld, um auf einer Konferenz mit den Vollzugsräten der Arbeiterräte im Ruhrgebiet, den Stadtverwaltungen, regionalen Regierungspräsidenten, Gewerkschaftsführern und Parteispitzen zu einer politischen Einigung zu gelangen.

In Halle dagegen haben in der Nacht Reichstruppen den Aufstand der radikalen Arbeiterschaft niedergeschlagen. „Die Zahl der Toten und Verwundeten ist auf beiden Seiten außerordentlich hoch“, schreibt das Berliner Tageblatt. „Das Militär ist damit beschäftigt, Barrikaden und Drahtverhaue zu beseitigen. In vielen Straßen und Stadtvierteln bieten sich schreckliche Bilder. Straßen und Schienen der elektrischen Bahn sind aufgerissen, Grant- und Minenlöcher hemmen den Verkehr. Die Drähte der Lichtleitungen hängen herab.“

In Gotha löst sich der Vollzugsrat der Arbeiter angesichts der Übermacht der Reichswehr auf, zwei Tage später übernehmen reguläre Reichswehr-, aber auch mit ihnen liierte Freikorpsverbände überall die Kontrolle. In den nächsten Tagen werden an verschiedenen Orten in Thüringen linke Arbeiterführer von rechten Mobs und Milizen gelyncht.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.