Donnerstag, der 3. Oktober 1918

In Berlin werden Nägel mit Köpfen gemacht. Kaiser Wilhelm II., der zusammen mit Hindenburg in die Hauptstadt gekommen ist, ernennt Max von Baden zum neuen Reichskanzler. Der stellt daraufhin umgehend sein Kabinett zusammen. Die Liste der Staatssekretäre – noch immer werden die Leiter der verschiedenen Reichsämter nicht als Minister bezeichnet – ist zuvor im Interfraktionellen Ausschuss erarbeitet worden. Sie setzt in erstaunlichem Maße auf Kontinuität: Die Ämter für Justiz, Schatz, Wirtschaft, Post und Ernährung werden den gleichen parteilosen Experten wie im Kabinett Hertling anvertraut. Auch Vizekanzler Payer behält seinen Posten. Max Wallraf, der später in der Deutschnationalen Partei Karriere machen wird, muss seinen Posten im Innenamt für den Zentrumspolitiker Karl Trimborn räumen. Auch Paul von Hintze muss gehen. Neuer Chef der Außenpolitik wird der ehemalige Leiter des Kolonialamtes Wilhelm Solf. Der studierte Indologe ist parteilos, steht aber den Linksliberalen nahe. Er hegt eine große Leidenschaft für fremde Kulturen und hat im Kaiserreich einen zähen Kleinkrieg für eine humane Kolonialpolitik geführt. Nachdem er als Gouverneur von Samoa einen Aufstand unblutig beenden konnte, wurde sogar der stets säbelrasselnde Kaiser ein erklärter Fan von Solf. Während des Krieges hat ihn Kanzler Bethmann Hollweg dann wegen seiner ausgezeichneten internationalen Verbindungen mit diplomatischen Missionen betraut, die einem Verhandlungsfrieden den Weg bereiten sollten, aber wegen des mangelnden politischen Willens dahinter, nie weit gediehen. 1917 schlug ihn auch der amerikanische Botschafter als möglichen Friedensvermittler vor. Außerdem war er damals anstelle von Hertling als Reichskanzler im Gespräch, wurde jedoch von den Nationalliberalen rund um Gustav Stresemann vehement abgelehnt.

 

Die größte Revolution der Regierungsumbildung ist jedoch die Einrichtung eines Reichsamtes für Arbeit, dessen Leitung dem Sozialdemokraten Gustav Bauer übertragen wird. Außerdem werden Philipp Scheidemann von der SPD, die Zentrumspolitiker Matthias Erzberger und Adolf Gröber und am 14. Oktober auch noch der Linksliberale Conrad Haußmann als Staatsekretäre ohne Geschäftsbereich in die Regierung aufgenommen. Dass sie kein Amt leiten stellt jedoch keine Abwertung dar. Sie sollen im Gegenteil zusammen mit dem Kanzler die politischen Reformen vorantreiben. Dank einer umgehenden Verfassungsänderung können auch erstmals Abgeordnete Minister werden, ohne ihren Sitz im Reichstag aufgeben zu müssen.

 

In der Literatur wird oft betont, dass die Regierung Max von Baden die letzte kaiserliche Regierung in Deutschland gewesen sei, quasi ein finaler Versuch des alten Regimes, sich an der Macht zu halten. Dabei wird aber ihre demokratische Legitimation außer Acht gelassen. Denn erstmals wurde in Deutschland eine neue Regierung nicht vom Kaiser dem Parlament vor die Nase gesetzt, sondern von demokratisch gewählten Abgeordneten gebildet. Bei den letzten Wahlen 1912 aber hatten SPD, Zentrum, Fortschrittliche Volkspartei und Nationalliberale 264 von 397 Sitze errungen, womit sie das Gros der – damals allerdings noch ausschließlich männlichen – Wahlbevölkerung hinter sich hatten. Auch Max von Baden selber, der vom alten System vorgeschlagen worden war, tat alles, die von Theodor Wolff angesprochenen „Hintertreppen“ zu schließen und den Einfluss vor allem des Militärs auf die Politik zu beschränken. So brachte er den Kaiser dazu, sowohl den preußischen Kriegsminister wie den Chef des kaiserlichen Zivilkabinetts (eine Art Verbindungsmann zwischen Monarch und Regierung) auszutauschen, da beide Amtsinhaber Vertrauensleute Ludendorffs waren. Selbst Militärs wie Ernst von Weizsäcker konstatieren damals, „dass dieser Kreis von Menschen im Generalstab … die längste Zeit Deutschland regiert hat.“

 

Am äußersten rechten Rand dagegen wird weiter daran gearbeitet, die Verantwortung für die Niederlage den weltanschaulichen Feinden in die Schuhe zu schieben. Heinrich Claß, der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, bereits vor dem Krieg ein radikaler Antisemit, fordert die Gründung „einer großen, tapferen und schneidigen Nationalpartei und rücksichtslosesten Kampf gegen das Judentum, auf das all der nur zu berechtigte Unwille unseres guten und irregeleiteten Volkes abgelenkt werden muss.“

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.