Freitag, der 2. April 1920

Das Wetter ist schön. Zumindest am Vormittag gibt es über weiten Teilen Deutschlands strahlend blauen Himmel und selbst im Schatten Temperaturen bis zu 16 Grad. Der wärmste Karfreitag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, konstatieren die Zeitungen. Die Berliner ereilt aber am Nachmittag eine kalte Dusche mit einem Temperaturabfall auf 10 Grad und im Westen macht sich sogar schon früher am Tag ein Tiefdruckgebiet bemerkbar.

 

Doch das Wetter ist im Westen das geringste Problem der Menschen. Denn Kanzler Müller ist zu der Überzeugung gekommen, dass das Bielefelder Abkommen sein Papier nicht wert ist, weil die, die es abgeschlossen haben, nicht mehr das Sagen im Ruhrgebiet haben. Duisburg werde geplündert, heißt es. In Hamborn sei die Stadtkasse geraubt worden, in Mülheim bewaffne die Rote Ruhrarmee die Bevölkerung. Überall ist die Kohlenproduktion völlig zum Erliegen gekommen. Nun marschiert Oskar von Watters mit seinen Truppen ins Ruhrgebiet ein. Darunter sind auch Freikorps, die gerade eben noch am Kapp-Putsch beteiligt waren wie die Marine-Brigade Loewenfeld. Die Regierung möchte eine gezielte Polizeiaktion, aber es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit ungefähr 2000 toten Zivilisten und Milizionären auf Seiten der Arbeiter sowie knapp dreihundert gefallenen Reichswehr- und Freikorpsleuten. Gegen den ausdrücklichen Befehl von Reichspräsident Friedrich Ebert führt Watters auch Standgerichte mit willkürlichen Erschießungen durch. Er wird deswegen im Nachhinein aus der Reichswehr entlassen, doch da ist der Schaden schon geschehen. Watters diente sich später den Nazis an und ließ sich 1934 selbst ein Denkmal als heldenhafter Verteidiger des Ruhrgebiets errichten.

 

Doch nicht nur im Ruhrgebiet trifft die Angst der Regierung vor den rechten Offizieren am Ende die loyalen Teile von Heer und Bevölkerung. So haben sich in Sachsen-Altenburg während des Kapp-Putsches die dort stationierten Landjäger und ihre Unteroffiziere geweigert, den Putsch ihrer Offiziere zu stützen, und auf Geheiß der rechtmäßigen Regierung diese sogar interniert. Wenig später erhält das Korps die Weisung unter Befehl ihrer übergeordneten Einheit, der Reichswehrbrigade 16, die den Putsch im benachbarten Sachsen-Weimar unterstützt hat, gegen die – laut Berliner Tageblatt „durchaus ruhige“ – Stadt Chemnitz vorzugehen. Die Landes-Regierung sendet daraufhin Abgeordnete nach Berlin ins Reichswehrministerium, um die Lage zu erklären. Zwei Tage später trifft eine militärische Kommission des Reichswehrministeriums in Sachsen-Altenburg ein. „Die Herren hatten nicht nur kein Wort der Anerkennung für das pflichttreue Verhalten der Truppe, sondern gaben sich kaum Mühe zu verbergen, dass sie ihre Handlungsweise lediglich unter dem Gesichtspunkte der Insubordination ansahen“, schreibt das Berliner Tageblatt. „So wurde namentlich die Besprechung zwischen dem Oberst und dem derzeitigen Leiter der zweiten Abteilung, Offiziersstellvertreter Borchert, zu einer Art Verhör eines Angeklagten durch seinen Richter. Den Mitgliedern der Landesregierung gegenüber sprachen die Militärs von der Notwendigkeit, die Truppe auf einige Zeit von hier wegzuverlegen.“ Berichte, dass Truppen und Unteroffiziere, die gegen ihre putschenden Offiziere vorgingen, nach dem Putsch diesen wieder unterstellt und von ihnen misshandelt wurden, gab es auch aus anderen Orten wie Berlin, Potsdam und Dessau.

 

Die am Putsch führend beteiligte Brigade Ehrhardt, dagegen sollte von Döberitz in das Lockstedter Lager, den Truppenübungsplatz des IX. Armee-Korps, geschafft werden. Dort sollen die Männer entwaffnet werden und mit Hilfe von Siedlungsprojekten im Umland eine neue Perspektive erhalten. Doch die Gewerkschaft der Eisenbahner weigert sich, die Brigade zu transportieren, solange sie nicht vollständig entwaffnet ist. Außerdem befinden sich im Lockstedter Lager bereits andere Brigaden, die auch noch nicht entwaffnet sind, sondern im Gegenteil mit Waffengewalt eine neue Einkleidung erzwungen haben und so gut ausgestattet sein sollen, dass sie mit Waffen Handel treiben. Später kommt die Brigade Ehrhardt dann doch noch in das Lockstedter Lager, doch die Entwaffnung funktioniert nie wirklich. Zwar werden die Mannschaften angesiedelt, doch ihre Anwesen werden zum Unterschlupf für andere Rechtsradikale, die den alten Truppenübungsplatz, der gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages eigentlich aufgelöst werden sollte, für militärische Übungen nutzen. Wurden Gruppen verboten, nannten sie sich einfach um. 1929 entstand dort eine Volkssportschule, in der die illegale, aber von führenden Militärs geförderte Schwarze Reichswehr paramilitarische Ausbildungen organisierte. Später formierte sich dort die Schleswig-Holsteinische SA.

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