Sonntag, der 29. September 1918

Im Morgengrauen gelingt es britischen Truppen die strategisch enorm wichtige Riquevalbrücke südlich von Cambrai zu erobern und so erstmals die Siegfriedstellung (die von den deutschen Kriegsgegnern Hindenburg Line genannt wird) zu durchbrechen.

 

Währenddessen treffen Erich Ludendorff, der Erste Generalquartiermeister des deutschen Heeres, und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg im ehemaligen Luxushotel Britannique in Spa den Chef des Auswärtigen Amtes, Staatssekretär Paul von Hintze, einen ehemaligen Admiral.

Ludendorff und Hindenburg bilden seit August 1916 die Oberste Heeresleitung (OHL). Formal steht Hindenburg höher, doch das Sagen hat Ludendorff. Er gilt als taktisches Genie und denkt das Leben vom Krieg her. Bereits vor dem Weltkrieg gehörte er zu jenen, die vehement forderten, den als unvermeidlich angesehenen Krieg gegen Frankreich und Russland zu einem günstigen Zeitpunkt „präventiv“ zu beginnen, während des Krieges plant er taktische Eroberungen, um Deutschland im ebenso unvermeidlich angenommenen nächsten Krieg eine bessere Ausgangslage zu verschaffen. Kurt Riezler, ein Vertrauter des früheren Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, beschrieb ihn in seinem Tagebuch einmal als „politisch ahnungslos und überaus ungebildet, nervös und jäh. … Würde, wenn frei losgelassen, Deutschland binnen kurzem in den Abgrund stürzen.“ Inzwischen steht Ludendorff an der Spitze der Macht und Deutschland am Abgrund.

 

Kaiser und Regierung müssten umgehend Waffenstillstandsverhandlungen mit den Mächten der Triple Entente aufnehmen, eröffnet Ludendorff dem Außenamtschef an diesem Morgen. Anderenfalls könne er nicht garantieren, dass die Front noch länger als 24 Stunden halte. Der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen.

Anderen ist das weit früher klar gewesen. Ludendorffs Vorgänger Erich von Falkenhayn sah schon dreieinhalb Monate nach Kriegsbeginn jede Aussicht auf einen militärischen Sieg geschwunden. Der damalige Kriegsminister – nach Ansicht von Kriegsgegner Churchill der fähigste der deutschen Militärs – hatte nach einer verheerenden Niederlage an der Marne am 12. September 1914 das Amt des damaligen Generalstabschefs Helmuth von Moltke übernommen, der einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Falkenhayn mobilisierte im Folgenden alle Kräfte, um doch noch den Durchbruch an der Westfront zu erzielen. Denn mit einer schnellen Niederlage Frankreichs, die es dann erlauben würde, alle Kräfte gegen das mächtige, aber nur langsam in Gang kommende Russland zu bündeln, stand und fiel der deutsche Kriegsplan. Als auch die blutige Flandernschlacht bei Ypern und Langemarck, in der Zehntausende von jungen, unausgebildeten Kriegsfreiwilligen starben, keinerlei Erfolg brachten, empfahl Falkenhayn am 18. November 1914 Kanzler Bethmann Hollweg, sowohl mit Frankreich wie mit Russland Verhandlungen aufzunehmen, um einen Separatfrieden zu erzielen. Doch das war für Theobald von Bethmann Hollweg ein Problem. Der Kanzler hatte bei Kriegsbeginn der Öffentlichkeit vorgelogen, die deutschen Kriegserklärungen seien erst nach Angriffen Russlands und Frankreichs erfolgt. In der Folge hatte er dann – gegen den Rat Falkenhayns – die militärische Situation stets beschönigt. All das hatte zu einer ungezügelten nationalistischen Propaganda beigetragen, die die Kriegsgegner einerseits zu wilden Bestien hochstilisierte, gegen die es nur „Sieg oder Tod“ geben könne, die sich aber andererseits in ausschweifenden Beute- und Großmachtsphantasien erging. Dieser aufgepeitschten Öffentlichkeit nun Friedensverhandlungen zu verkaufen, wagte der Kanzler nicht. Und schließlich gab es ja auch noch zwei Militärführer, die ihn bestärkten, dass ein Sieg sowohl möglich wie auch angesichts der Erbarmungslosigkeit der Feinde unbedingt nötig sei: Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, denen es gelungen war, sich durch einen Sieg bei Tannenberg am 30. August 1914 zu nationalen Heilsbringern zu stilisieren.

 

In der Folge versuchte Falkenhayn den Kriegsgegner vor Verdun „auszubluten“. Doch die Hoffnung, dass Frankreich angesichts der immensen Verluste aufgeben würde, erfüllte sich nicht. Nach zehn Monaten und gut 150.000 Toten auf jeder Seite wurde Falkenhayn nach Rumänien abgeschoben. Kaiser Wilhelm II. ließ sich nun überreden, die oberste Heeresleitung Hindenburg und Ludendorff zu überlassen, obwohl er die Tannenberg-Sieger nicht sonderlich mochte. Das neue Führungsduo setzte in der Folge alles daran, noch mehr Kräfte für den Sieg zu mobilisieren. Vor allem wurde die Rüstungs- und Munitionsproduktion enorm ausgeweitet. Um genügend Arbeiter zu haben, wurden Schulen und Universitäten geschlossen, aber auch Firmen, die als nicht kriegswichtig erachtet wurden. Außerdem setzte man massenhaft Frauen und belgische Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie ein. Auch die knappen Ressourcen gingen in erster Linie an das Militär und in die Rüstung. Die Bevölkerung und zivile Betriebe mussten sich hinten anstellen. Viele Historiker sprechen von einer Militärdiktatur. Die angestrebte Verdoppelung oder sogar Verdreifachung der Produktion wurde trotzdem nicht einmal ansatzweise erreicht – auch weil die einzelnen Maßnahmen im Hauruckverfahren von Männern, die weder von Verwaltung noch von Wirtschaft eine Ahnung hatten, angeordnet und kaum miteinander koordiniert wurden.

Im Dezember 1916 bot sich US-Präsident Woodrow Wilson den kämpfenden Europäern als Friedensvermittler an. Zum Einstieg forderte er beide Seiten auf, ihre minimalen Kriegsziele zu benennen. Während die Mittelmächte ausweichend reagierten, führte die Entente Radikales wie die Reduzierung Deutschlands und Österreich-Ungarns auf ihre Kerngebiete an. Der deutschen Kriegspropaganda war es so ein Leichtes, dem Gegner absoluten Vernichtungswillen zu unterstellen und einen neuen nationalen Schulterschluss zu erzielen. Fatalerweise gab die deutsche Regierung auch dem Drängen der OHL nach, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufzunehmen, der im Mai 1915 nach den Protesten der Amerikaner wegen der Versenkung des Passagierdampfers Lusitania eingestellt worden war. Die Wiederaufnahme führte zu großer Empörung in den Vereinigten Staaten und am 6. April 1917 zu einem – von deutscher Seite durchaus erwarteten – Kriegseintritt auf Seiten der Entente. Nicht so schlimm, befand Ludendorff, die Stärke der Amerikaner werde überschätzt. Viel wichtiger sei, dass man mit dem U-Boot-Krieg ein Mittel in der Hand habe, England in fünf bis sechs Monaten zur Kapitulation zu zwingen.

 

All das fand vor dem Hintergrund einer prekären Versorgungslage statt. Da die deutsche Regierung von einem kurzen Krieg ausgegangen war und die politische Lage im Sommer 1914 innerhalb von nur 40 Tagen eskaliert war, hatte man nur unzureichende Maßnahmen zur Versorgung der Zivilbevölkerung getroffen, obwohl das Kaiserreich rund ein Drittel seiner Lebensmittel aus dem Ausland bezog und damit weltgrößter Importeur von Agrarprodukten war. Mit Kriegsbeginn fielen jedoch nicht nur Importe aus den Ländern der Gegner aus. Die Ententemächte verstanden es auch, mittels britischer Seeblockade und politischem Druck Lieferungen aus zahlreichen neutralen Saaten zu unterbinden. Die deutsche Landwirtschaft aber litt unter dem Mangel an Männern und Pferden, die für den Krieg rekrutiert worden waren, und bekam zudem kaum noch Kunstdünger, da deren Grundzutaten nun für die Herstellung von Munition benötigt wurden. Folglich waren bereits Ende 1914 Nahrungsmittel knapp geworden und die Preise dafür entsprechend gestiegen. Die Regierung reagierte mit Rationierungen und Höchstpreiserlassen.

Im Herbst 1915 gehörten lange Schlangen vor den Lebensmittelläden und anderen Ausgabestellen längst zum Alltagsbild. Die Stimmung der anstehenden Frauen, auf die auch noch ihre Arbeit, die Kinder und die Haushaltspflichten warteten, war schnell auf das äußerste gereizt und neue Maßnahmen der Regierung oder gestiegene Butterpreise führten immer wieder zu spontanen Ausschreitungen. Ein oft hartes Einschreiten der Polizei ließ die Situation zusätzlich eskalieren. Vor allem in den Arbeitervierteln der großen Städte schwollen die Protestgruppen manchmal auf mehrere Tausend Menschen an und es kam zu Krawallen mit Steinwürfen auf Schaufensterscheiben und Polizisten. In die Forderung „Gebt uns zu essen!“ mischten sich zunehmend auch Parolen wie „Gebt uns unsere Männer wieder!“, die von den offiziellen Stellen und Kriegsbefürwortern als zersetzend empfunden wurden. Den Versicherungen der Regierung, an allem wäre nur die englische Seeblockade schuld, wurde angesichts eines vielerorts florierenden Schwarzmarkts wenig Glauben geschenkt. Scharen von Großstädtern fuhren zum Hamstern aufs Land – und büßten die teuer eingetauschten Lebensmittel auf dem Heimweg oft bei Razzien ein, während die großen Schieber und Spekulanten in der Regel unbehelligt blieben.

Im Mai 1916 wurde dann zwar ein Kriegsernährungsamt für die Zivilbevölkerung eingerichtet, das jedoch – im krassen Gegensatz zu der von Walter Rathenau höchst effektiv gemangten Rohstoffabteilung des Kriegsministeriums – unglücklich agierte und zum Beispiel so unsinnige Preisbeschränkungen erließ, dass manche Landwirte Korn und Kartoffeln lieber an das Vieh verfütterten oder an Brennereien lieferten anstatt als Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Auch die Volksküchen, auf die viele angewiesen waren, hatten oft kaum noch Genießbares anzubieten. Ernährungswirtschaftlich, so resümierte der Historiker Hans-Ulrich Wehler, sei der Krieg im Grunde im Frühjahr 1916 verloren gewesen. Ein verregneter Herbst, in dem die Hälfte der zum Hauptnahrungsmittel gewordenen Kartoffelernte der Krautfäule anheimfiel, führte dann zum berüchtigten Steckrübenwinter 1916/17, der nicht nur von Nahrungsmangel, sondern auch extremer Kälte geprägt war, gegen die angesichts der Kohlenreduzierung nur notdürftig angeheizt werden konnte. Mehrere Hunderttausend Menschen starben an Krankheiten und Entkräftung, die Krawalle vor den Lebensmittelausgabestellen häuften sich. Parallel dazu fanden vermehrt Streiks statt, die ersten im Oktober 1916 auf den Hamburger Werften.

 

Langsam begann auch die Regierung einzusehen, dass der „Burgfrieden“ – was die Bevölkerung, nicht was die Parteien anging – brüchig geworden war. Am 7. April 1917, einen Tag nach dem Kriegseintritt der USA, versprach Kaiser Wilhelm II. in seiner Osterbotschaft, nach dem Krieg das preußische Dreiklassenwahlrecht abzuschaffen. Doch diese wage Aussicht genügte nicht mehr. Auch die russische Februarrevolution, die nach westlichem Kalender am 8. März losgebrochen war, beflügelte die Wut in den deutschen Städten. Die Streiks wurden zur Massenbewegung. Insgesamt verweigerten im April mehrere Hunderttausend Menschen die Arbeit. Wieder ging es vor allem um eine bessere Lebensmittelversorgung, wieder waren es vor allem Frauen. Aber in Berlin und Leipzig wurde auch in den Rüstungsbetrieben gestreikt. Dabei hatten gerade die Arbeiter der kriegswichtigen Betriebe viel zu verlieren. Sie erhielten nicht nur ordentlichen Lohn und extra Essenszuteilungen. Die Männer liefen auch in Gefahr bei Verlust ihres Arbeitsplatzes in den Krieg geschickt zu werden.

Kanzler Bethmann Hollweg drängte den Kaiser, der Opposition entgegen zu kommen. Auf der anderen Seite setzte Ludendorff alle Hebel in Bewegung, um den Kanzler zu stürzen. Ludendorff forderte die totale Unterordnung der Politik unter die Belange des Krieges. Nur durch Bündelung aller Kräfte sei der Krieg noch zu gewinnen, gar sein Credo. Das Volk glaubte er am besten bei der Stange zu halten, indem alle oppositionellen Stimmen radikal unterdrückt wurden. Für Bethmann Hollweg dagegen bedeutete „Bündelung aller Kräfte“, unbedingt den Burgfrieden zu wahren. „Eine reaktionäre Militärdiktatur würde uns dem Untergang entgegen führen“, warnte er. Allerdings war es ihm nicht gelungen, Kaiser Wilhelm mehr als die wage Osterbotschaft zu entlocken, weswegen auch die Parteiführer im Reichstag, vor allem der einflussreiche Matthias Erzberger vom Zentrum und Gustav Stresemann von der Nationalliberalen Partei jedes Vertrauen in ihn verloren und seine Ablösung forderten. Als die Erfolgsquoten der U-Boot-Kapitäne im Sommer dann rapide zurückgingen, weil die Briten Strategien dagegen gefunden hatten – also mitnichten, wie von der OHL prophezeit, kurz vor der Kapitulation standen – gelang es Ludendorff, die Verantwortung dafür dem Kanzler in die Schuhe zu schieben. Allein weil Bethmann Hollweg sich zu lange gegen den ungeschränkten U-Boot-Krieg gestellt habe, seien die Pläne der Militärs nicht aufgegangen, behauptete er. Im Juli 1917 drohten Ludendorff und Hindenburg dann mit Rücktritt, wenn der Kanzler nicht abgesetzt werde. Kaiser Wilhelm II. knickte ein und tauschte Bethmann Hollweg gegen den blassen, in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten, preußischen Staatsminister für Ernährung, Georg Michaelis, aus. Der tat zwar sein Bestes, sich im Sinne der OHL jeder Demokratisierung zu verweigern, war aber ansonsten so überfordert mit seinem Amt, dass er im Oktober 1917 durch den bayerischen Ministerpräsidenten Georg von Hertling ersetzt wurde. Die Parteien wurden wieder durch Reformversprechen beschwichtigt.

All diese Manöver trugen dazu bei, die unzufriedenen Massen weiter zu politisieren. Namentlich die Anhänger der SPD begannen die Zusammenarbeit ihrer Partei mit einer Regierung, die sich immer mehr vor den Karren der OHL spannen ließ, mit Ablehnung zu betrachten und sich den radikalen Linken zuzuwenden.

Im Winter jedoch erhielten all jene, die noch an einen deutschen Sieg glaubten, noch einmal gewaltigen Aufwind. Denn am 8. November stürzten in Russland die radikalkommunistischen Bolschewiki die aus der Februarrevolution hervorgegangene gemäßigt sozialistische Regierung. Das deutsche Auswärtige Amt hatte seinen Teil dazu beigetragen, indem es bereits im April Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, und anderen führenden Bolschewisten – mit Einverständnis der OHL – ermöglicht hatte, aus ihrem Schweizer Exil nach Russland zurückzukehren. Die deutsche Seite hoffte, das Zarenreich so zu destabilisieren. Dass auch riesige Geldsummen – die Rede war von bis zu 82 Millionen Reichsmark – an die Bolschewisten geflossen sind, ist ein Gerücht, das schon damals kursierte und bis heute weder bewiesen, noch widerlegt ist. Der Plan, die neue bolschewistische Regierung zu einer teuren Kapitulation zu nötigen, jedoch ging auf.

Lenin brauchte nach dem geglückten Umsturz in St. Petersburg unbedingt einen Frieden mit den Mittelmächten. Zum einen, um alle Kräfte im russischen Bürgerkrieg gegen die Gegner der Revolution einsetzen zu können, aber auch, weil das Versprechen, den Krieg zu beenden, ganz wesentlich für den Rückhalt der Bolschewisten unter den einfachen Soldaten und Arbeitern war. Viele seiner Kampfgenossen rund um Nikolai Bucharin allerdings fanden Gebietsabtretungen an eine imperialistische Macht unannehmbar. Am 7. Januar 1918 ersetzten sie deshalb den bisherigen Verhandlungsführer Adolf Joffe durch Leo Trotzki, der die Gespräche durch lange Propagandareden verschleppte und hoffte, dass militärische Erfolge der Entente oder sozialistische Unruhen in Deutschland und Österreich-Ungarn seine Position verbessern würden.

Tatsächlich trieb die selbstherrliche Art, wie die deutsche Militärspitze mit den Frieden suchenden Sowjetrussen umsprang, die deutschen Linken auf die Barrikaden. Organisiert von den Revolutionären Obleuten, unabhängigen Betriebsräten, die meist der kommunistischen Spartakus-Gruppe nahe standen, verweigerten im Januar 1918 allein in Berlin, dem Zentrum der Rüstungsindustrie, ungefähr eine halbe Million Menschen die Arbeit. Deutschlandweit waren es noch einmal so viele, im verbündeten Österreich-Ungarn rund 700.000. In den großen Städten kam das öffentliche Leben für einige Tage beinahe komplett zum Erliegen. Dafür gab es Aufmärsche, Demonstrationen und teilweise auch Ausschreitungen. Die Streikenden forderten einen Frieden ohne Annexionen, dazu eine Verbesserung der Versorgung mit Lebensmitteln, die Freilassung der politischen Gefangenen und eine durchgreifende Demokratisierung. Am 28. Januar wählten die Delegierten der streikenden Betriebe nach sowjetischem Vorbild einen Arbeiterrat. Der preußische Innenminister Bill Drews sprach in einem Bericht vom „ersten politischen Massenstreik in Deutschland.“ Doch Anfang Februar gelang es der Regierung, die Streiks durch Polizei und Militär, Versammlungsverbote, militärische Aufsicht für die bestreikten Betriebe und verschärfte Zeitungszensur auflösen zu lassen, ohne Zugeständnisse zu machen.

 

Auch gegenüber Sowjetrussland zeigten die Mittelmächte kein Entgegenkommen. Stattdessen begannen sie separate Friedensverhandlungen mit der neugebildeten Ukrainischen Volksrepublik. Das sollte einerseits die russische Delegation unter Druck setzen, zum anderen hoffte man auf dringend benötigte Lebensmittellieferungen. Deutschland und Österreich-Ungarn glaubten, leichtes Spiel zu haben, denn in der Ukraine herrschte Bürgerkrieg. Rund um Donezk und Charkow im Osten sowie auf der Krim hatten sich eigenständige Sowjetrepubliken gegründet und auch im Westen versuchten bolschewistische Kräfte, die Macht zu übernehmen, obwohl die Ukrainische Volksrepublik selber ein marxistisches Programm hatte. Das Verhalten der russischen Sowjetregierung zum neuen Nachbarn war zwiespältig. So erkannte Trotzki die ukrainische Delegation und ihr Recht einen Separatfrieden zu schließen an, trotzdem unterstützte die Rote Armee ukrainische Bolschewisten im Kampf gegen die Volksrepublik. Am 8. Februar musste deren Regierung aus Kiew fliehen, einen Tag später unterzeichnete sie in Brest-Litwosk einen Friedensvertrag mit Deutschland und Österreich-Ungarn. Die beiden Mächte versprachen der Ukraine Militärhilfe und gestanden ihr das Recht auf den polnischen Bezirk Chełm zu, dafür hatte Kiew 982 Millionen Tonnen Getreide, 50.000 Tonnen Rinder, 400 Millionen Eier sowie Speck, Zucker, Flachs, Hanf, Manganerze und weitere benötigte Güter zu liefern.

Trotzki reagierte mit einem Abbruch der russischen Friedensverhandlungen, versprach aber eine Demobilisierung der russischen Truppen. Er hoffte so, einen Zustand zu erreichen, der „weder Krieg, noch Frieden“ war. Deutschland jedoch kündigte den vereinbarten Waffenstillstand auf und besetzte in der „Operation Faustschlag“ nicht nur die Ukraine, sondern auch Estland und Livland, sowie einen durch Weißrussland führenden Korridor. Am 1. März wurde Kiew zurück erobert. Nicht wenige Bolschewiki waren bereit, den Fehdehandschuh aufzunehmen, doch Lenin drohte den Genossen mit Rücktritt, falls der Krieg nicht beendet werde. Zwei Tage später unterzeichnete Sowjetrussland den Frieden von Brest-Litowsk. Es verzichtete darin auf das Baltikum, Polen, Weißrussland, die Ukraine, Finnland und Georgien und musste 6 Milliarden Goldmark an Reparationen an Deutschland zahlen. Die Gebietsverluste bedeuteten für das einstige Zarenreich einen Verlust von einem Drittel der Bevölkerung, mehr als der Hälfte seiner Industrie und fast 90 Prozent der Kohleproduktion. Am 6. Mai sollte dann noch der Frieden von Bukarest mit Rumänien folgen, der Deutschland u. a. ein Monopol auf die rumänische Ölförderung, einräumte.

 

Die deutsche Bevölkerung reagierte größtenteils mit Begeisterung, die Militärs sahen Kräfte frei werden für einen Sieg im Westen. Faktisch aber blieben 1,5 von 2 Millionen Soldaten zur Sicherung der abgetretenen Gebiete im Osten gebunden, bzw. wurden von der OHL in den Kaukasus geschickt, um dort Rohstoffquellen, vor allem die Ölfelder von Baku, für Deutschland zu sichern. Außerdem war die Ukraine nicht fähig, die versprochenen Lebensmittel zu liefern. Auch nicht als die deutschen Truppen immer mehr von Verbündeten zu Besatzern wurden und sogar die Regierung gegen eine neue austauschten.

All das hindert Ludendorff nicht, am 21. März seine geplante große Offensive im Westen zu starten. Sein Plan war, dass schnelle Stoßtrupps an die Kanalküste vorstoßen und Paris einnehmen sollten. Auf diese Weise wollte er Frankreich von seinen wichtigsten Nachschubwegen abschneiden und einen gewinnbringenden Frieden erzwingen. Am Anfang gelingen auch tiefe Vorstöße durch die feindlichen Linien. Die OHL war selber berauscht von ihren Erfolgen und suggerierte der Heimat, damit sei ein baldiger Sieg gewiss. „Die Stimmung der Augusttage kehrt wieder“, meinte der Mediävist Karl Hampe. Im Prinzip aber war die sogenannte Michael-Offensive bereits nach zwei Wochen gescheitert. Denn die gewaltigen Erfolge hatten auch mehr Opfer gefordert als jede andere Schlacht des Ersten Weltkriegs in vergleichbarer Zeit. Auf deutscher Seite starben 240.000 Soldaten, noch mehr wurden verwundet oder gefangen genommen. Die Lücken konnten nur teilweise mit schlecht ausgebildeten, letzten Reserven aufgefüllt werden. Ausrüstung und Ernährung waren prekär, man hatte kaum noch Pferde, die Geschütze zu bewegen, zu wenig Treibstoff für Lastwagen und keinen Kautschuk für eine neue Gummibereifung und verfügte über so gut wie keine Panzer, weil man – im Gegensatz zur Entente – diese Entwicklung vernachlässigt und die vorhandenen Ressourcen lieber in den U-Boot-Bau gesteckt hatte. Mit diesen immer schwächer werdenden Kräften ließen sich die neuen, längeren, unbefestigten Frontlinien in einem Gebiet, das schon durch die Sommeschlacht 1915 und systematische Zerstörungen beim deutschen Rückzug 1917 verwüstet worden war, nicht halten. Außerdem begann die Spanische Grippe um sich zu greifen und es gelangen kaum mehr Überraschungsangriffe, da die Franzosen den Code des deutschen Nachrichtenverkehrs entschlüsselt haben.

 

Ludendorff, der bisher quasi seine eigene Geheimwaffe gewesen war – überall wo er an der Front eingegriffen hatte, hatte er mehr erreicht als seine Vorgänger – begann taktische Fehler zu machen, sich zu verzetteln und Realitäten zu ignorieren. Die Spanische Grippe etwa gab es für ihn nicht und Berichte seiner eigenen Aufklärung, die ihm nicht passten, wurden zu Gerüchten erklärt. Je prekärer die Lage wurde, desto deutlicher zeigte sich, dass er sich nur auf Taktik, nicht aber auf Strategien verstand, wie es der Militärhistoriker Gerhard P. Groß formulierte. Stets kündigte er einen weiteren „entscheidenden Schlag“ an und gab anderen die Schuld, wenn dieser nicht funktionierte. „Die Stabschefs der Armeen wechseln, wie man Wäsche wechselt“, hielt Ernst von Weizsäcker, damals Vertreter der Seekriegsleitung im OHL-Hauptquartier, spöttisch fest und Hermann von Kuhl, Stabschef der Heeresgruppe „Kronprinz Rupprecht [von Bayern]“ konstatierte nach einer Lagebesprechung: „Alle anderen sind schuld, nur nicht die Oberste Heeresleitung“. Den Soldaten warf Ludendorff vor, sie würden nicht genug Einsatz zeigen, den Frontoffizieren, sie hätten ihre Mannschaften nicht im Griff. Ein Mangel an Ressourcen, so sein Credo, müsse durch ein Mehr an unbedingtem Kampfeswillen und äußerster Opferbereitschaft kompensiert werden müsse. Dass auch diese ihre Grenzen haben könnten, stand für ihn nicht zur Diskussion.

Dabei lässt sich Soldatenberichten entnehmen, dass viele während der Frühjahrsoffensive noch einmal all ihre verbliebenen Kräfte aufboten, um einen entscheidenden Sieg zu erringen. Als der ausblieb, machten sich jedoch extreme Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit breit. Dazu kamen die Grippe und andere Krankheiten, die Erkenntnis um viel besser die Versorgung der gegnerischen Soldaten war und auch ein tiefer Hass auf die Offiziere in der Etappe, die Opferbereitschaft nur forderten, aber nicht lebten. Historiker schätzen, dass sich am Ende eine Million deutsche Soldaten in einem „verdeckten Militärstreik“ befanden, wie Wilhelm Deist vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam es nannte, d. h. sie übten ihren Dienst so nachlässig wie möglich aus und versuchten vor allem zu überleben.  Mehr als 100.000 seien freiwillig in Gefangenschaft gegangen. Aber auch bei vielen Offizieren verlor die OHL durch fragwürdige taktische Entscheidungen zunehmend an Prestige.

 

Ab Mitte Juli zwangen die Ententemächte – zu denen jeden Monat etwa 200.000 frische US-Soldaten stießen – die deutschen Truppen dann schrittweise zum Rückzug. Am 8. August erzielten sie bei Amiens einen entscheidenden Durchbruch. Ludendorff, der zuvor Warnungen bezüglich einer feindlichen Truppenkonzentration ignoriert hatte, sprach von einem „schwarzen Tag des deutschen Heeres“, behauptete einige Tage später auf einer von Wilhelm II. einberufenen Konferenz in Spa gegenüber dem Kaiser, Kanzler und Außenamtschef Hintze aber immer noch, man könne den Kriegswillen des Gegners durch gelegentlich offensive Vorstöße aus einer strategischen Defensive heraus brechen. Am 1. September gestand er seinem Vertrauten Hermann Mertz von Quirnheim dann, er wisse nicht, wie man den Kampf noch weitere 14 Tage weiterführen solle. „Exzellenz hat wohl noch die Verzweiflung zu kämpfen, aber nicht den Mut ein Ende zu machen“, notierte dieser. Am 2. September gab Ludendorff nach einer weiteren schweren Schlappe immerhin dem Drängen seiner Stabsoffiziere nach einem geordneten Rückzug auf die Siegfriedstellung nach.

Am 14. September erfolgte dann ein weiterer Schlag. Österreich-Ungarn bat die Entente-Mächte ohne Rücksprache um Frieden, am 25. des Monats folgte Bulgarien. Mit dem Wegfall der beiden Verbündeten drohte Deutschland eine weitere Front im Südosten, für deren Verteidigung es keinerlei Reserven gab. Ludendorff befand sich, wie den Aufzeichnungen seiner Stabsoffiziere zu entnehmen ist, nun am Rande eines Nervenzusammenbruchs und war unfähig, einen Entschluss zu fassen. Verzweifelt klammerte er sich an ein Gerücht, im französischen Lager sei die Lungenpest ausgebrochen. Am 26. September ergriffen deshalb Mertz von Quirnheim, der Chef der Operationsabteilung Joachim von Stülpnagel und dessen Vorgänger (und späterer Reichswehrchef) Wilhelm Heye die Initiative und forderten ohne Ludendorffs Wissen Außenamtschef Paul von Hintze auf, zur Besprechung der Lage nach Spa zu kommen.

 

Nun ist Hintze in Spa und wie die Rebellen erhofft haben, ringt Ludendorff sich zum Eingeständnis der Niederlage durch. Für Hintze kommt das nicht überraschend, hatte er doch schon auf der Konferenz nach der Amiens-Niederlage die Nachrichten als niederschmetternd empfunden und Ludendorffs Ausführungen von der strategischen Defensive nicht wirklich Vertrauen geschenkt. Nun schlägt er vor, ein Friedensgesuch an US-Präsident Woodrow Wilson zu richten. Der hatte am 8. Januar 1918 in einer programmatischen Rede im amerikanischen Kongress ein 14 Punkte umfassendes Friedensprogramm vorgestellt. Vorgesehen war eine Neuordnung Europas mit einem Selbstbestimmungsrecht aller Völker. Außerdem sollten eine uneingeschränkte Freiheit der Meere, ein möglichst unbeschränkter Handel und Rüstungskontrollen verwirklicht werden. Vor allem aber sollte es ein Frieden „ohne Sieger und Besiegte“ sein, also ohne Annexionen und Reparationszahlungen. Für Deutschland würde das nicht nur eine Räumung Belgiens, sondern auch eine Revision der Friedensverträge von Brest-Litowsk bedeuten, das Land aber andererseits auch vor Ansprüchen der Kriegsgegner bewahren. Dieses Friedensgesuch, so Hintze weiter, werde am besten durch eine neue, unbelastete, vom Parlament getragene Regierung gestellt. Schließlich hatte Wilson gerade erst vor zwei Tagen wieder erklärt, mit den derzeitigen Regierungen der Mittelmächte sei kein Friede zu erreichen. Außerdem verringere eine solche  „Revolution von oben“ die Gefahr von Chaos und einer Revolution von unten.

Überraschenderweise rennt er damit bei Ludendorff, bislang vehementer Gegner jeder Parlamentarisierung, offene Türen ein. Zu nichts anderem hat der OHL-Chef am Vortag Kanzler Hertling nach Spa rufen lassen. Worum es ihm dabei eigentlich geht, das verrät er am 1. Oktober seinen Stabsoffizieren im Rahmen einer Dienstbesprechung. „Ich habe“, berichtet er, „seine Majestät gebeten, jetzt auch die Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind. … Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“

 

Später wird diese Interpretation der Verantwortung für die Niederlage als Dolchstoßlegende bekannt werden. Ein angeblich im Felde unbesiegtes Heer sei durch mangelnden Rückhalt an der Heimatfront „hinterrücks erdolcht“ worden. Diese Legende kam nicht erst nach der Novemberrevolution auf und sie galt auch nicht in erster Linie den Spartakisten, sondern wurde, wie die Aufzeichnungen von Ludendorffs Vertrauten Albrecht von Thaer belegen, von Anfang an und in erster Linie gegen die Politiker erhoben, die nun die Kastanien aus dem Feuer holen sollten.

Es sind führenden Leute der Parteien des Interfraktionellen Ausschusses: Matthias Erzberger, der starke Mann des katholischen Zentrums, Philipp Scheidemann, der Fraktionsführer der SPD, sowie Friedrich von Payer und Conrad Haußmann von der fortschrittlichen Volkspartei. Zwar hatten sie alle den Burgfrieden von 1914 getreulich eingehalten und nur äußerst zaghafte Friedensinitiativen unternommen hatten. Doch für Ludendorff und Co. waren auch all jene, die es wagten einem Verständigungsfrieden „ohne Sieger und Besiegte“ anstatt eines „Annexionsfriedens“ mit reicher Beute das Wort zu reden, Verräter am unbedingten Siegeswillen. Ein besonderer Dorn im Auge war ihm Matthias Erzberger. Im Sommer 1917 hatte Ludendorff versucht, diesen für seine Pläne, Kanzler Bethmann Hollweg zu stürzen, zu instrumentalisieren. Durch seine rechte Hand Max Bauer – den „Vater des Giftgaskrieges“ –  hatte er Erzberger in vertraulichen Hintergrundsgesprächen darlegen lassen, dass die militärische Situation viel prekärer sei, als man in der Heimat ahne, wo eine merkwürdige Sorglosigkeit herrsche. Die Front könne nur mit dem völligen Rückhalt der Bevölkerung gehalten werden. Und mit einem anderen Kanzler als Bethmann Hollweg. Bei letzterem unterstützte ihn Erzberger tatsächlich, denn auch er fand einen Kanzler, der seine Demokratisierungsversprechen nicht hielt und keinerlei Friedensinitiative zeigte, nicht mehr tragbar. Aber aus der dramatischen Lage an der Front zog er völlig andere Konsequenzen als von der OHL gewünscht. In einer fulminanten Rede im Reichstag forderte Erzberger die Abgeordneten auf, sich in einer gemeinsamen Resolution für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen auszusprechen.

Erzberger war eine schillernde Figur. Der Handwerkersohn aus dem württembergischen Buttenhausen war zunächst Volksschullehrer geworden, hatte dann aber Nationalökonomie und Staatsrecht studiert, als Journalist gearbeitet, sich in den christlichen Gewerkschaften engagiert und war schon mit 28 Jahren Reichstagsabgeordneter geworden. Seine zahlreichen Gegner, auch aus der eigenen Partei, verspotteten ihn wegen seines grobschlächtigen Auftretens und seiner uneleganten Erscheinung gerne als „Dorfschulmeisterlein aus der Provinz.“ Dabei hatte der umtriebige Erzberger, der nach seiner Wahl nach Berlin übergesiedelt war und nicht wie fast alle anderen Abgeordneten, quasi ehrenamtlich und nebenbei aus der Heimat aus, Politik betrieb, schon vor dem Krieg den Reichstag gehörig aufgemischt. 1907 hatte er mehrere Kolonialskandale zwar nicht aufgedeckt, aber zum Politikum gemacht, bis seine Partei gemeinsam mit der SPD die Gelder für eine Weiterführung des Hererokriegs in Namibia verweigerte und die damalige Regierung zum Rücktritt zwang. Zwei Jahre später gewann er die Deutschkonservative Partei für eine Ablehnung der Erbschaftssteuer (die er dann 1919 selbst einführen sollte) und trug so zum Sturz von Kanzler Bernhard von Bülow bei. Kaiser Wilhelm II., der von Parlamentarieren allgemein nicht viel hielt, verlangte voller Wut zu wissen, ob es denn gar kein Mittel gäbe „unsere Beamten- und Offizierswelt vor dem gewerbsmäßigen Hintertreppen-Schleicher, Ehrabschneider und Verleumder Erzberger zu decken.“ Den Ersten Weltkrieg bejahte Erzberger zunächst voll und ganz, auch er überzeugt, dass sich das deutsche Reich nur gegen Aggressoren von außen verteidige. Er ließ sich zum Leiter der Auslandspropaganda machen, versuchte sich sogar im Waffenschmuggel und bemühte sich als Sonderbotschafter Rumänien und Italien vom Kriegseintritt auf Seiten der Entente abzuhalten. Andererseits kritisierte er – gewohnt unbequem – als einziger neben Karl Liebknecht die passive Haltung der deutschen Regierung angesichts der Verfolgung und Ermordung von ArmeniernAramäern und Griechen im verbündeten Osmanischen Reich. Im Sommer 1917 war er jedoch seiner Kriegsbegeisterung geheilt. Auf seine Anregung gründete sich der Interfraktionelle Ausschuss aus Zentrumspartei, SPD und Linksliberalen und erarbeitete eine Friedensresolution, die dann vom Reichstag auch mit großer Mehrheit angenommen.

Das rechte Lager schäumte, sprach vom „Beginn der Revolution“, nannte Erzberger vom Papst ferngesteuert, einen Hochverräter, Vaterlandsverschacherer und eine Kreatur des Judentums und erklärte, dass „Richter Lynch“ die einzig wahre Instanz sei, die Fraktionsvorsitzenden Erzberger, Scheidemann und Payer zu richten. Um das Lager der immer noch glühenden Kriegsbefürworter zu einigen, wurde eine neue Partei gegründet, die sich Deutsche Vaterlandspartei nannte. Sie bündelte all jene Kräfte, die bereits im Kaiserreich für eine extrem aggressive Außenpolitik und teilweise sogar für einen Staatsstreich im Inneren eingetreten waren, weil ihnen Kaiser Wilhelm II. zu lasch gewesen war. Mit an Bord war natürlich Erich Ludendorff, aber auch der Industrielle und Verleger Alfred Hugenberg, der 1891 den berüchtigten, ultrarechten Alldeutschen Verband mitbegründet hatte, dazu als Vorsitzende Großadmiral Alfred von Tirpitz, der Vater der verhängnisvollen Flottenpolitik, und der rechtsradikale Agitator Wolfgang Kapp, weiter viele Großindustrielle wie Carl DuisbergErnst von BorsigHugo StinnesEmil Kirdorf und einer der Siemens-Söhne, sowie der begeisterte Kolonialpolitiker Johann Albrecht von Mecklenburg-Schwerin und Tirpitz‘ Schwiegersohn Ulrich von Hassell, der später als einer der Verschwörer vom 20. Juli 1944 hingerichtet werden sollte.

Die Deutsche Vaterlandspartei kündigte den Burgfrieden auf. Sie forderte repressive Maßnahmen gegen die Arbeiterschaft, bezeichnete die Abgeordneten der linken USPD  konsequent als Bolschewiki, diffamierte einen Verständigungsfrieden als „Juden-“ oder „Verzichtfrieden“ und warf dessen Vertretern zumindest „Flaumacherei“, wenn nicht Verrat vor. Stattdessen forderten sie, dass die gewaltigen Opfer für den Krieg nicht „umsonst“ gewesen sein dürften und reklamierten Belgien, Luxemburg, große Teile Frankreichs, des Baltikums, der westlichen Ukraine und des westlichen Weißrusslands für Deutschland. Polen und die Niederlande sollten in die Abhängigkeit gezwungen werden, England zur Abtretung von Gibraltar, Malta und Zypern. Außerdem wollten sie nicht eher Frieden schließen, bis Deutschland ein zusammenhängendes Kolonialreich unter Einschluss des belgischen Kongos und die „Freiheit der Meere“ gesichert habe. Und natürlich sollten die geschlagenen Gegner gewaltige Reparationsleistungen zahlen müssen. Selbst der harte Frieden von Brest-Litowsk war den Mitgliedern der Vaterlandspartei zu „schlapp“. Wie schon der Alldeutsche Verband überzogen sie die Öffentlichkeit mit einer Flut von Kampagnen und kannten keinerlei Hemmungen in ihren Äußerungen, auch den Regierenden gegenüber nicht. So meinte etwa der Historiker Max Lenz, um die „Flaumacher in Berlin“ zum Schweigen zu bringen, wäre es wohl das Beste „in der Wilhelmstraße [dem Regierungssitz] Gas abzublasen, leider sind so scharfe Mittel nur an der Front üblich.“ Obwohl von Großindustriellen und anderen Eliten dominiert, versuchte man auch, sich den Anschein einer „urwüchsigen Volksbewegung“ zu geben, die nur vertrat, was jeder (echte) Deutsche wolle. Als im Januar 1918 die Massenstreiks ausbrachen, gab sich die Partei dann nicht mehr mit Agitation zufrieden, sondern stellte in Berlin, Leipzig und München Rollkommandos auf die Beine, die gegen die Streikenden vorgingen.

 

Nun aber holen Ludendorff und Hindenburg nach der Unterredung mit Hintze die Einwilligung von Kaiser Wilhelm II. zu Regierungsumbildung und Friedensgesuch ein. Graf Hertling, der am Nachmittag eintrifft, erklärt erwartungsgemäß, er fühle sich zu alt, um an der Spitze einer auch von ihm ungeliebten parlamentarischen Regierung zu stehen. Er schlägt als seinen Nachfolger den Prinzen Max von Baden vor, was die Zustimmung von Kaiser und OHL findet.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.